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SCHANTUNG
UND
SEINE EINGANGSPFORTE
KIAUTSCHOU
V< IN
FERDINAND FREIHERR VON RICHTHOFE.N
MIT 3 GROSSEN KARTEN AUSSER TEXT <1 TOPOGRAPHISCHE UND 1 GEOLOGISCHE KARTE DER PROVINZ SCHANTUNG - 1 KARTE DES
NORDÖSTI 1< II IN CHINA) 3 KLEINEN KARTEN IM TEXT UND 9 LICHTDRUCKTAFELN.
BERLIN 1898 DIETRICH RFJMKR (ERNST VOHS1 N
Recht der Uebersetzung und Vervielfältigung vorbehalten.
Druck von OTTO ELSNER, lierlin S.
Vorwort.
Seitdem am 14. November 1897 deutsche Kriegs- schuld' vor Tsingtau am Eingang in die Bai von Kiau- tschou erschienen sind, und in rascher Folge das Deutsche Reich, als eine China befreundete Macht, auf Grund eines träges und auf friedlichem Weg dort festen Fuss gefasst hat, um eine Heimstätte für die Schiffe seiner Marine uml seines Handels zu begründen, sind die Blicke in I >eutschand auf den neu erworbenen Hafen und die chinesisch«- Provinz, in der er lie^t, gelenkt worden. Schnell hat sich die leberzeugung befestigt, dass mit der Kiautschou-Bai ein wichtiger Stützpunkt für die deutschen Interessen in Ostasien gewonnen sei, und ihr Hinterland, in erster Linie die Provinz Schantung selbst, ein Feld lohnender Bethätigung für wirthschaftliche Unternehmungen darbiete. Man strebte nach Kenntniss über das dem Gesichtskreis plötzlich nahe gerückte Land; aber über keine andere Küstenprovinz von China hätte man eine Lirftige Literatur finden können.
Line Verkettung von Umständen hat es gefugt, dass ich vor fast drei fahrzehnten Schantung zu Forschungs- ken durchstreift und darüber etwas geschrieben, dabei auch der zukünftigen Bedeutung des in jener Zeit kaum chteten Kiautschou eine besondere Betrachtung ge-
IV
Vorwort
widmet habe. Ich wagte damals, mich der kühnen Hoff- nung hinzugeben, dass die Meeresbucht, welche mir als ihr gegebene maritime Endpunkt eines einstmaligen aus- gedehnten Eisenbahnnetzes, und dadurch als die einzige natürliche Eingangspforte des nordöstlichen China vom Meere her erschien, ein deutscher Hafen werden könnte. Es ist mir das hohe Glück zu Theil geworden, nach langer Zeit die Verwirklichung dieser Idee zu erleben. Aber nicht erelunßfen ist es mir, durch meine Darstellung Andere zur Fortführung meiner flüchtigen Untersuchungen anzuspornen. So kommt es, dass mein eigener Bericht über Schantung, trotz seiner Lückenhaftigkeit, noch immer der vollständigste, und unter denen, welche ihre Aufgabe wissenschaftlich zu erfassen streben, der einzige auf Autopsie beruhende ge- blieben ist.
Das Buch, in dem er enthalten ist, ist ein grosser gewichtiger Band, und eine Wolke von geologischen Ausführungen erschweren Vielen von denen, die es be- nutzen möchten , den Zugang zu dem , was für sie von Interesse sein könnte.
Ich bin daher von verschiedenen Seiten gebeten worden, den Inhalt meiner Tagebücher und Reisebriefe in grösserer Vollständigkeit zusammenzustellen, als es in einem wissenschaftlichen Werk angebracht war, zu gleicher Zeit aber auch das dort Gegebene in eine allgemein verständ- liche Sprache zu übersetzen. Diesen Wunsch durfte ich für berechtigt halten, da es augenblicklich mehr im allgemeinen Interesse liegt, baldige sichere, wenn auch nach vielen Richtungen unzureichende Auskunft zu erhalten, als auf die Ergebnisse der im Lauf der Zeit zu erhoffenden gründlicheren Untersuchung zu warten. Vermuthlich wird in einigen Jahren Schantung der am besten bekannte Theil von China sein.
Vorwort. V
Manches in dem vorliegenden Buch ist den in den Jahren [877 und 1882 erschienenen ersten zwei Bänden meines angedeuteten grösseren Werkes China«; entnommen; ich habe mich bestrebt, hier im Wesentlichen gesicherte Ergebnisse zu bringen und in fassliche Form zu kleiden, wenn auch die Behandlung der Bodenschätze ein flüchtiges Eingehen auf den inneren Gebirgsbau nothwendig gemacht hat. Ausfuhrlichere Begründung der Anschauungen und, soweit es das Historische betrifft, Argumentation und literarische Nachweise können in jenem Werk nach- her! werden. Grösser an Umfang ist das, was ich theils nach meinen Reisenotizen, theils in Form allgemeiner Zusammenstellungen und Erwägungen, hier hinzugefügt habe. Nicht ohne Widerstreben trete ich an die Oeffent- lichkeit mit der leichten Waare persönlicher Erfahrungen aus dem täglichen Leben; aber um ein Bild von Land und Leuten zu geben , durfte ich das Triviale nicht scheuen. Zu lebhaftem Dank bin ich dem Herrn Verleger ver- pflichtet für das thatkräftige Interesse, welches er der raschen Herstellung des Buches gewidmet und durch die freigebige Ausstattung mit Karten und Bildern bekundet hat. Eine Erklärung dieser Illustrationen ist in den »Vor- bemerkungen« gegeben. Mein Dank gebührt auch Herrn 1 »r. Felix Lampe in Berlin, welcher mit grosser Liebens- würdigkeit die Mühe der Anfertigung des Index über- nommen hat.
Möge das Buch, welches, ebenso wie die Karten, den Stempel der Pionierarbeit nicht verleugnen kann, freundliche Nachsicht finden und Andere dazu anregen, seinen Inhalt bald in allen Theilen durch Besseres und Vollständigeres zu ersetzen.
Berlin, Ende Mai 1898.
v. Richthofen.
Inhalt.
Seite
Vorwort III
Inhalt VI
Verzeichni ss der Karten und Abbildungen \ III
Vorbemerkungen IX
I. Die Karten dieses Buches IX
IL Die Bilder XII
III. Literatur über Schantung XIII
IV. Sehreibart und Aussprache chinesischer Namen XVII
V. Rangabstufungen der Städte XXIII
VI. Maass und Gewicht XXV
Erstes Kapitel: Von Schanghai bis über die Grenze von Schantung i
Lage und Bedeutung von Tschinkiang 7
Der Grosse Kanal oder Kaiserkanal 14
Fahrt auf dem Grossen Kanal 2 2
Landreise vom Alten Gelben Fluss nach Itschoufu 29
Zweites Kapitel: Natürliche Beschaffenheit von Schantung . . 43
1 .e^ensatz zwischen Süd- und X'ord-China 43
Der Hwanghö und die Grosse Ebene 47
Bodenfläche von Schantuntj 51
Grundzüge des inneren Gebirgsbaues 53
Der äussere Gebirgsbau 67
Klima 75
Vegetation 80
Drittes Kapitel: Bewohner und Volks wirthschaft 84
Einwohnerzahl S4
Geschichtliche Entwickelung der Provinz 87
Besonderheiten der Bewohner 93
Wohnhäuser und Dörfer 98
Verkehrswege und Verkehrsmittel 100
Landwirtschaft 106
Arbeit und Tagelohn 114
In!'. VII
Seite
Viertes Kapitel: Von Itschoufu bis Tsinanfu i--
I>a~ Kohlenleid ron Itschoufu '--
\\ !<■ man in Schantnng reist 120
Itschoufu bis Tainganfu '37
I »er Taischan '47
Kaiserreisen nach dein Taischan im Alterthutn 150
\ mii Tainganfn nach Tsinanfu 154
lg nach dem < ielben Fluss '59
Fünftes Kapitel: Von Tsinanfu nach Tschifu 166
Besuch von Poschan -hsien '71
Von Poschan -hsien nach Wei-hsi-Jn iSS
Von Wei- hsien nach Tschifu '95
Tschifu 2°4
Sechstes Kapitel: Die Missionen in Schantnng und ihr Werk. . 210
Die Mission der italienischen Franziskaner 210
Die deutsche katholische Mission in Schantun^: 221
Die protestantische Mission in Schantun^ 220
Die deutsche protestantische Mission in China 237
Siebentes Kapitel: Kiautschou als die maritime Eingangspforte
von Schantnng und Nord-China 242
Stellung von Schantung unter den Kiistenpiovinzen . 242
Die bisherige Bedeutung von Kiautschou und Tschifu 252
Die Wahl von Kiautschou als Station für deutsche Schifte . . . • 250 Der Hafen von Kiautschou und die Gründung einer deutschen Nieder- lassung an ihm 202
Wirthschaftliche Ziele 271
Die Verwerthung der Kohlenfelder von Schautung 2S1
Das fernere Hinterland von Kiautschou 290
Wirthschaftliche Hebung des Landes 3°°
SchlussbetrachtunLT 3°+
Index 311
Verzeichniss der Karten und Abbildungen.
.V Urosse Landkarten, lose beigefügt:
Tafel i. Knrte der Provinz Schantung i : ioooooo .
2. Dieselbe Karte, geologisch.
3. Karte des nordöstlichen China mit Angabe von Eisenbahnlinien
1 : 3 000 000 .
B. Kleine Landkarten im Text:
Tafel 4. Karte des südlichen Theils des Grossen Kanals . . Seite 7
5. Uebersichtskarte des östlichen China »43
6. Karte der Kiautschou-Bai » 253
C. Abbildungen in Lichtdruck:
Eine hohe Schule gegenüber dem Titelblatt
Frachtboote auf dem Grossen Kanal Seite 22
Pailous in einer Strasse von Tsimo-hsien » 40
Strasse in Tsingtau, als Beispiel einer Dorfstrasse in Ost-Schantung . . »98
Chinesischer Schiebkarren »102
Kettler in Dorfstrasse und Mühle an Dorfmauer »154
Ansicht aus Tsimo-hsien, als Beispiel einer Vorstadtstrasse »192
Ansicht von Tsingtau Yainen, Dorf, Hafen) » 242
Strasse in Tsimo-hsien » 264
Vorbemerkungen.
I. Die diesem Buch beigegebenen Karten.
I. Die Karte der Provinz Schantung.
Für diese Karte, welche in dem im Verhältniss zu dem Grad unserer Landeskenntniss grossen Maassstab I : 1000000 gezeichnet ist. muss ich g
»icht beanspruchen: und wenn in kurzer Zeit die verbessernde Hand ten einen Theil nach dem anderen in richtigere Gestalt bri
wird. -<> möge man nicht vergessen, dass die Berichtigung leicht, das weitaus Schwerere aber da- erste Gestalten aus unvollkommenen Mitteln heraus ist.
i. als ich meine Reise antrat, keine europäische Darstellung der Provinz, als die Kopie eines in rohen Umrissen gehaltenen chinesischen Originals in Martin Martinis Atlas vom Jahr 1655, und das Blatt Schantung von d'Anville au- dem Jahr 1735. Dieses stand mir nicht einmal zu Gebote; ich besass nur eine Uebersichtskarte von China, welche Heinrich Berghaus im Jahr I 843 bri Simon & hropp in Berlin herausgegeben hat. und in welcher in sehr kleinem Maassstab I : 7 000 000' die Zeichnung von d'Anville aufgenommen ist. - Material konnte natürlich nur zum allgemeinsten Anhalt dienen, um mich über die Lage meiner Reisewege zu orientieren.
Besseren Anhalt gaben mir die Blätter einer einheimischen Generalkarte von China, welche im Maassstab I: I 000 000 einige Jahre zuvor in Wutschangfu erschienen war. Für den Ungeübten i-t -ie sehr schwer zu benutzen, um so mehr, als natürlich alle Namen chinesisch geschrieben sind. Sic giebt ein
unbeholfene- Gerippe, in dem die Lage einiger Hauptstädte durch die ' Ortsbestimmungen der Jesuiten annähernd genau Festgelegt ist. Jede Flusslinie en wirklich vorhandenen Wasserlauf; aber ihre Ausführung gewährt nur einen allgemeinen Anhalt für Lage und Richtung de- 1
sind als vorhanden angedeutet, aber es fehlt der elementarste Versu< h einer Gebirgszeichnung. Strassen sind nicht angegeben.
I>.i nun eine geologische Aufnahme nur dann einen Sinn hat, wenn man sie auf einer Karte von mä »Sem Maassstab niederlegt, so sah
\ \ : bemerkungen.
ich mich unmittelbar i'i die Nothwendigkeil versetzt, selbst kartographisch zu :i. Auf allen meinen Reisen in China hat von da an die beständige Aufnahme des \<>m Reiseweg aus übersehbaren Geländes einen Gegenstand Arbeit gebildet Ich zeichnete die Aufnahmeblätter in dem Maass- stab \<>n l : 450 ooo. i ).i ich jedoch hierauf nicht vorbereitet war, und die Wanderung durch Schantung meine erste Landreise in China gewesen ist, -n leidet gerade in dieser Provinz meine kartographisi he Arbeit unter er- heblichen Mängeln. Von Anfang an war ich bestrebt, das Kartenbild über das Gesichtsfeld hinaus zu vervollständigen, indem ich jede erkundete Notiz dafür zu verwerthen suchte. Doch fehlte mir auch hierzu im Anfang noch die (Jebung in der Fragestellung. Einen wichtigen Anhalt gaben für die Halbinsel die festen Linien der Küstenumrisse, welche den britischen Admiralitätskarten entnommen wurden. Sehr dienlieh war ferner tue durch Ney Elias im Jahr 1868 vollzogene Festlegung de- neuen Laufe- de- Gelben Flusses. Als feste Punkte im Inneren wurden die von den Jesuiten bestimmten Längen und Breiten benutzt, zu denen noch einige Ergänzungen durch den damaligen Astronomen der russischen Sternwarte in Peking, Herrn Dr. Fritsche, kamen.
N.nh meiner Rückkehr wurden auf ('.rund dieser festen Linien und Punkte meine Platter unter dem vorzüglichen Beistand von Herrn Dr. Richard Kiepert im Maassstab von I : 750 000 umgezeichnet. Ich führte die Ergänzungen über den Pereich meiner Originalblätter hinaus näher aus und trug Gebirge und (ieologie ein. Für das Einsetzen der Namen auf Grund der chinesischen Schriftzeichen, wie sie auf der Wutschangkarte angegeben sind, erfreute ich mich der wirksamen Beihilfe des ehemaligen Konsulatsdolmetschers von S hanghai, Herrn Karl Himly. Im Jahr 1877 waren die Grundlagen dieser ungemein zeitraubenden Arbeit vollendet. Ich habe dann die Karten in einem
Atla- von China vereinigt, dessen erste Hälfte im Jahr 1885 im Verlag von Dietrich Reimer erschienen ist. Schantung ist darin auf den Blättern I. 2. 3. 4, 53. 54 dargestellt, von denen die geraden Nummern die geologischen, die ungeraden die orographischen Karten darstellen.
Die diesem Buch beigegebene topographische Karte von Schantung i-t aus der Vereinigung der Atlasblätter I, 3 und eines Theils von 53 entstanden, von denen letzteres noch nicht erschienen ist. Es ist dabei der Maassstab auf I : I 000 000 reducirt worden. Zur Ergänzung bis zu den Grenzen der Provinz fehlte noch der Theil, welcher westlich von 1 1 6 '/j Grad östlicher liegt. Dieser ist nach Carl Waeber's Karte des nordöstlichen China
I: 1355 000, St. Petersburg, 1893) ergänzt worden. Er betrifft nur ebene Gebiete. Es ist jedoch dadurch eine Ungleichheit der Behandlung eingetreten. So w.-it meine Kartenblätter reichen, sind nämlich alle den chinesischen Karten entnommenen, von mir nicht gesehenen Flüsse in unterbrochenen gestrichelten ) Linien eingetragen, um den unbestimmten Charakter anzudeuten, wogegen alles das, wofür ich die Verantwortung zu tragen habe, in vollen Linien
liesem Buch l \I
cichnei ist. Auf der Waeber'schen Karte fehlt diese Unterscheidung, daher auch auf dem von ihm übernommenen Theil des hier beigegebenen Blattes.
2. Geologisc Im- Ka rte \ on Shanl
Die topographische Zeichnung der vorgenannten Karte ist benutzt wo um auf Grundlage der Blätter 2, 4 und 54 des Adas die geologischen Farben zu einem Gesammtbild zusammenzustellen. Selbstverständlich ist auch dieses nur als ein erster Versuch zu betrachten, für den ich die Verantwortlichkeit nur bezüglich der an meinem Reiseweg gelegenen Gebiete tragen kann. Was davon weiter abliegt, ist zum Theil nach Schlussfolgerungen aus Berichten von Eingeborenen und Missionaren, zum Theil nur nachVermuthung eingeb
3. Karte des Nordöstlichen China.
I >i«-c- Karte i-t ein Abdruck der Tafel VIII im zweiten Band meines Werkes China . Sie soll wesentlich zur Orientirung in dem Abschnitt: das fernere Hinteiland von Kiautschou S. 290 . dann auch zum Verständniss illgemeinen Ausführungen im zweiten Kapitel dienen. Ich habe sie im Jahr 1884 gezeichnet, besonders zu dem Zweck, ein Bild der Gebirge nach meinen Aufnahmen und der zur weiteren Ergänzung von mir gewonnenen Auflassung zu geben. Aenderungen sind nur betreffs der Umrisse der Kiautschou- Bai . der Eintra^un^ einiger jetzt dem Interesse näher gerückter Namen und der Einzeichnung von Eisenbahnlinien getroffen worden. Auch - Farbenbild de- < >riginals vereinfacht worden.
Di«- Schreibart der Namen auf diesen drei Karten entspricht der in meinem grösseren Werk über China angewandten. Es steht daher x/i und i.s/i. wo im Text dieses Buche- das deutsche seh und tttch gesetzt i-t: und e- i-t die Trennung der Bestandteile der Namen durch Bindestriche allgemein durchgeführt.
4. Karte des südlichen Theil- de- Grossen Kanals und 5. L'eber-i ch t-karte de- östlichen China. Blätter bedürfen keiner Erläuterung. Das erstere -oll für die tellungen im ersten Kapitel, da- zweite zur schnellen Orientirung bei allgemeinen Betrachtungen dienen.
6. Karte der Kiautschou - Bai.
Für die Herstellung dieses Blatte- wurde vom Reichs-Marine-Amt eine durch dessen Nautische Abtheilung im Maassstab 1:200 000 vorläufig her- gestellte Karte mit dem Titel: Gouvernement Kiautschou, als Entwurf gedruckt, 1898 , gütigst zur Verfügung gestellt. Umrisslinien und Wassertiefen beruhen noch wesentlich auf der britischen Admiralitätskarte, Blatt Kyauchau-Bay,
Y j [ \ 01 bemerknngen.
N(„, i sind auf il>r zahlreiche Dörfer eingezeichnet, deren Namen
Auffassung durch das < »In so niedergeschrieben sind, dass sie wie Odysse, Haubeto, Olasi, Auli( etc. zu unchinesisch klingen, um sie wiederzugeben. Ich habe daher nur die Namen eingetragen, welche chinesischen Charakter haben, und mich zu ihrer Rechtschreibung, wie auch sonsl zu einigen Er- gänzungen, der mit Zuhilfenahme japanischen Materials in Petermann s Mit- theilungen Jahrgang 1898, Tafel 4 erschienenen Karte Die Kiautschou-Bucht und Umgebung bedient.
II. Die Bilder.
Es bestand nicht die Absicht, diesem Werk einen Bilderschmuck beizugeben, weil solche Ansichten, welche von der Landschaft, den Städten und den Bewohnern von Schantung eine Anschauung zu geben geeignet sein würden, nicht zugänglich und vermuthlich, mit Ausnahme der Umgebung von Tschifu und Weihaiwei, überhaupt nicht vorhanden waren. Während des Druckes der letzten Bogen jedoch legte die Graphische Gesellschaft in Berlin dem Herrn Verleger eine Anzahl von Bildern vor, welche ein von ihr nach Kiautschou besonders ausgesandter Photograph dort aufgenommen hatte. In Anbetracht des Interesses, welche-; Darstellungen gerade von diesem Ort gegenwärtg haben, wurde für eine kleine Zahl der Bilder ein beschränktes Vervielfältigungsrecht erworben. Wenn sie nur geringe Beziehung zum Text haben , so möge dies durch die genannten Umstände entschuldigt werden. Die Herstellung in der Mitte des Winters veranlasste es. dass die Landschaft öder erscheint, als sie es thatsächlich ist, und die Bewohner sich dem Leser in ihren unkleidsamen dickwattirten Winteranzügen vorstellen.
Ich habe diesen Bildern, ausser einer Ansicht von Kanalbooten, die Photographie einer hohen Schule in Peking beigefügt, um dem Leser den
en Theil der Bevölkerung, mit dem wir es zu thun haben, vor Augen zu führen. Man ist gewohnt, auf Zeichnungen die Chinesen in Karrikaturen dargestellt zu sehen, und auch auf Photographien, abgesehen von den Porträts hoher Mandarine, mit Vorliebe solche Typen gewählt zu finden, welche die Chinesen zum mindesten als sonderbare Menschen erscheinen lassen. Es steckt darin noch ein Stück mittelalterlicher Neigung, fremd- ländische Völker als etwas Absonderliches darzustellen. Kein Volk hat sich dies in Schrift und Bild mehr gefallen lassen müssen als die Chinesen. Ein Blick auf die in Deutschland hergestellten illustrirten Kiautschou -Postkarten genügt, um dies zu bestätigen. Diejenigen, welche in Ostasien lebten, haben es gelernt, die Chinesen ernster zu erfassen und sie als Menschen zu be- trachten, unter deren mittleren und oberen Schichten, und grossentheils auch im Landvolk, ein gutes Theil von althergebrachter, wenn auch eigenartiger, bei manchen Individuen bis zu sehr hohen Graden sich steigernder geistiger
itur über Schantung. XIII
und formeller Bildung steckt; Menschen, welche auch fähig sind, das zu er- lassen, was die europäische Kultur ihnen bieten kann. Die intelligenten Gesichtszüge von Studirenden, welche den höheren Klassen angehören, tragen vielleicht dazu bei, das herkömmliche Unheil zu berichtigen. Da das vor- de Buch von dieser ernsteren Auffassung der Chinesen ausgeht, so ist nannte Darstellung als Titelbild gewählt worden, wenn auch die Erzählung einer geologischen Wanderung durch Schantung mir wenig Gelegenheit bot, im Text auf diese Seite der Betrachtung besonders einzugehen.
III. Literatur über Schantung.
Die erste Beschreibung von Schantung hat der aus Trient stammende deutsch-tyroler Jesuit Martin Martini in dem Text zu seinem grossen, im Jahr 165 5 zu Wien erschienenen Atlas Sinensis gegeben. Sie ist kurz, enthalt aber treffende Bemerkungen. Er hatte viel von China gesehen, be- richtete darüber in klaren Zügen und stellte in dem Atlas Nachzeichnungen der damaligen chinesischen Karten zusammen. Da er gewiss das beste vor- handene Material benutzt hat, erhält man durch die Karte von Schantung einen Begriff von der (Jnvollkommenheit der graphischen Darstellungen, welche damals die Chinesen von ihrem Land besassen. Obgleich sie seit alter Zeit den Kompass kannten, haben sie doch nur plumpe Umrisse zu zeichnen vermocht.
Einen grossen Fortschritt bezeichnen die Karten, welche d'Anville zu dem grossen, im Jahr 1735 in 4 Foliobänden zu Paris erschienenen Werk vmi Du Halde: Description de la Chine , gezeichnet hat. Ihm standen die bewundernswerthen Originalkarten zu Gebote, welche die Jesuiten im Auftrag des Kaisers Kanghi in der Zeit von 1708 bis 1717 nach eigenen Aufnahmen entworfen hatten. Ihr Werk bestand darin, die geographischen Längen und Breiten einer grossen Zahl von Städten astronomisch festzulegen. Dadurch erhielten sie ein Netz von festen Funkten, das sie nun durch Eintragung der Beobachtungen an ihren Reisewegen und durch Einzeichnung sonstiger Ort- m haften, sowie der Flussläufe und Küstenlinien, nach chinesischen Karten ergänzen konnten. Die Aufnahme von Schantung wurde 1711 von dem Franzosen Regis und dem Portugiesen Cardoso ausgefühlt. Der Text des Werke- von Du Halde entstammt grösstentheils den Berichten der Jesuiten. Von diesen aber reicht, trotz ihrer Gelehrsamkeit, nicht ein einziger, was
iphischen Beobachtungssinn betrifft, an Martini heran. Wir finden daher betreff- Schantung bei Du Halde nur einen dürftigen Auszug aus dessen weit besserem Bericht. Das Thatsächliche beschränkt sich auf die
»•ii. Schantung -ei eine der fruchtbarsten Provinzen von China, leide
vir rkungen.
heil und Heuschrecken; die Nahrungsmittel seien billig; seien besondere Birnen, Kastanien und Pfirsiche zu erwähnen; .nuh kamen Seidenwürmer vor, die im Freien auf Bäumen spinnen. Dann ;. n noch die wichtigsten Städte genannt.
Ich führe diesen Inhalt deshalb an, weil sich auf ihn im Wesentlichen
Alles beschränkt, was sei« 1735 durch weitere 135 Jahre über die Provinz
Schantung als Ganzes geschrieben worden ist. So konnte z. B. der Abbe
er, der I7S5 eine vielgelesene Beschreibung von China herausgab, nur
den Wortlaut von Du Halde wiederholen.
Die erste, zunächst sehr geringfügige Erweiterung der Kenntnis» ge- schah an den Küsten der Halbinsel, die im Jahr 1793 von der Gesandtschaft von Lord Macartney in ihrem östlichen Theil gesehen, später von anderen englischen Schiffen angelaufen und endlich, nach 1840, von der britischen Admiralität genau vermessen worden sind. l'eber den Verlauf der Küsten- linie und die Thatsa« he, dass sie wesentlich bergiges Land begrenzt, ging die Kunde nicht hinaus.
Ferner kamen Berichte über die Linie des ("»rossen Kanals im west- lichen Schantung. Dort war schon am Ende des 13. Jahrhunderts Marco Polo gereist; ihm folgten im 14. Jahrhundert der Mönch Odorich von Pordenone und der Araber Ibn Batuta. Die ausführlichste, mit vielen Bildern gezierte Beschreibung der Wasserstrasse hat Johann Neuhof, der Hofmeister einer holländischen Gesandtschaft, welche 1656 auf ihr nach Peking fuhr, geschrieben. Später I 793 reiste Lord Macartney auf dem- selben Weg von Peking nach Süden. Mehrere Mitglieder seiner Gesandt- schaft, besonders Staunton, haben darüber anschaulich und verständig erzählt und manche Beobachtungen über Bewohner und Landwirtschaft eingeflochten. Von geringerem Werth waren die Berichte der zweiten englischen Gesandt- ift unter Lord Amherst (1816
Als Karl Ritter in dem 1834 erschienenen dritten Band seines monu- mentalen Werkes über A-ien das zusammenzustellen suchte, was er allen vorhandenen Quellen über China entnehmen konnte, musste er sich mit ■ n. besonders Martini entnommenen Angaben über Schantung begnügen. Nur der Ostküste und dem Grossen Kanal konnte er einige weitere Worte widmen. Auch die nächstfolgenden Decennien brachten keinen Zuwachs zur Landeskunde. und als nach der deutschen Festsetzung in Kiautschou die ersten Notizen über die Provinz erschienen, liess sich wieder Du Halde er- kennen. So gilt noch immer die Heuschreckenplage als eine ihrer schlimmen Charakterzüge. Dieser üble Ruf scheint sich darauf zu gründen, dass der später bei der Kartenaufnahme betheiligte Jesuit Pater Bouvet am 17. Juli 1693 einen verheerenden Schwärm dieser Insekten am Grossen Kanal erlebt hatte. tritt zuweilen ein, aber Schantung scheint darunter nicht mehr zu leiden, als die Nachbarprovinzen.
Literatur über Schantung. XV
Die Eröfinung von Tschifu als Freihafen hatte Anfangs keinen Einfluss auf die Vermehrung der Kund« - Li« hl bra< hte als Erster d< r
Missionar der s< hottischen Bibelgesellschaft Alexander Williamson. Er unter nahm von seinem Wohnsitz bei Tschifu aus wiederholt Reisen in die nord- östlichen Provinzen von China, einschliesslich der Mandschurei, und veröffent- lichte 1870 darüber ein Werk in zwei kleinen Bänden unter dem Joumeys in North China, Manchuria and Kastern Mongolia . Zwei Kapitel handeln über Schantung. Er erzählt Erlebnisse, theilt Beobachtungen mit und giebt eine kurze zusammenhängende Beschreibung von Schantung, nach Martini'- die erste, welche auf eigner Anschauung beruht. Auf einer seiner Reisen war er von dem englis« hen Konsul in Tschifu, Herrn John Markham,
et, welcher darüber in einem Vortrag vor dei phischen Gesell-
schaft in London berichtete.
Auch meine Reisen fallen in diese Zeit. Sie wurden zum Zweck gischer Forschung unternommen. Leider war ich damals Neuling 'in China und in dortigen Landreisen unerfahren. Daher habe ich Schantung nur auf zwei viel bereisten Linien durchstreift. Die Ergebnisse sind in dem zweiten Land meine- Werke- China 1882. S. 173 — 266 und auf den Karten de- dazu gehörigen Ada- niedergel
Seitdem i-t Schantung nicht nnbesucht geblieben. Viele sind im Winter auf dem Weg von Peking nach Schanghai oder Tschifu hindurchgefahren: Missionare halten -ich in grosser Zahl darin auf, und Kaufleute haben das Innere zu Handelszwecken besucht Doch scheint es, da-- die allgemeine
-künde dadurch eine wesentliche Förderun- nicht erfahren hat. 1 Ja- einzige daraus hervorgegangene Buch, von dem ich Kenntniss erhalten habe, ist von einem englischen Missionar Alex. Armstrong geschrieben und im Jahr I 892 in Schanghai unter dem Titel: General outline of the geography and hi-tory of the province of Shantung: a sketch of its mission, and notes of a journey to the tomb of Confucius erschienen; es gelang meinen Bemühungen weder.
• ich selbst zu erlangen, noch von seinem Inhalt etwas zu erfahren.
Wichtig sind die statistischen Veröffentlichungen de- Kaiserlichen Seezollamts,
aber sie beziehen -ich mir auf das excentrisch gelegene Tschifu. Ein ehe-
maliger Beamter dieser Behörde, Herr Fauvel, der bereits früher eine
'' mzeiehnung der chinesischen Karte von Schantung veröffentlicht
hat eine Zusammenstellung der Geographie von Schantung
welche in abgekürzter Form in das Supplement zu Vivien de Saint Martins
tionnaire de Geographie universelle Heft 7, 1897 aufgenommen worden
5 ist daraus nicht zu entnehmen.
- wird hierin gesagt, dass die geologische Kunde von Schantung auf den Untersuchungen von Pumpelly, Armand David, Kintrsmül und Ney Elias beruht und ich deren Ergebnisse mit eigenen Forschungen zusammengestellt habe. Um dem Leser des Dictionnaire ininöthiLres Suchen nach diesen Quellen zu ersparen, sei hier
\\'| \ "i bemerkung
Von kleineren Aufsätzen, die sich auf Schantung beziehen, erwähne ich
noch: 1. A. M. Becher, Notes i>n tli<- mineral resources "t Eastern Shantung, Journal of the North-China Branch of the Royal Asiatii Society Bd 22. 1887 . Herr Becher hat einige der vermeintlichen Erz- und Mineralvorkommen in der Nähe von Tschifu untersucht, vermochte aber etwas Werthvolles nicht zu finden. — 2. Skerchley and Kingsmill, on the Loess and other superficial depos Shantung Quart. Journ. Geol. Soc. London, 1 8 V 5 , p. 238 — 253. I > i < - ~ « - Herren haben Schantung auf den Hauptstrassen durchzogen. Ihre Anschauungen stehen in dem Bann einer schon vor 20 Jahren ausgesprochenen Hypothese von Kingsmill, wonach das nördliche China in allerjüngster Zeit 600D Fuss tief in das Meer versenkt und dann wieder um ebensoviel gehoben worden sein soll. Für Schantung wird zwar in dem neuen Aufsatz der B 1000 Fuss als hinreichend erachtet, aber diese vorgefasste Meinung hat die Erklärung alle- Gesehenen beeinflusst. Die Ergebnisse kommen in diesem Buch nicht zu weiterer Verwendung, da keine Anführung ohne Widerlegung geschehen könnte, diese aber hier nicht am Platz sein würde.
Wie ich bei meinen Reisen in Schantung eine Tabula rasa fand, ->> kann ich leider in dem gegenwärtigen Werk aus anderen Quellen nur Weniges entnehmen. In kurzer Zeit wird dies anders stehen. Es ist zu erwarten, dass die Literatur über die Provinz bald anwachsen. Vieles hier niedergelegte er- gänzen, vielleicht durch Genaueres ersetzen und, vielleicht, auch widerlegen wird.
Das Erstlingswerk der Literatur über Kiautschou, nämlich das bemerkenswerthe , von patriotischem Geist durchwehte Buch des Geheimen Ober-Bauraths Georg Franzius: Kiautschou, Deutschlands Erwerbung in en ist erst nach dem Druck des vorliegenden Buches (Ende Mai 1898) erschienen; ich vermag es eben noch hier zu nennen. Es enthält den ersten ausführlichen Bericht eines sachkundigen Beobachters über die Kiautschou- Bai. Eine besondere Auszeichnung ist ihm durch Beiträge von der erlauchten Hand Seiner Majestät des Kaisers zu Thcil geworden. Eine bessere Einführung hat die Literatur über ein neues Schutzgebiet eines europäischen Staates nie erfahren, als e- hier durch die kernhaften Worte des Allerhöchsten Schutzherrn selbst auf der ersten und letzten Seite geschehen ist.
Einige gleichzeitig erschienene kleine Schriften, welche zwar den Namen Kiautschou als Aushängeschild tragen, aber nicht auf Autopsie beruhen und wesentlich anderen Inhalt haben, können hier übergangen werden.
erwähnt, dass ich nicht die geringste Vorarbeit vorgefunden habe. Pumpelly und David haben Schantung, bis auf den unvermeidlichen Aufenthalt jedes zur See nach Peking Fahrenden in Tschifu, nicht besucht; Elias hat nur den (ielben Flnss kartographisch aufgenommen und seinen Fuss nicht über das ebene Land hinaus gesetzt. Kingsmill war erst nach mir in Schantung. seine Mittheilungen vermochte ich nicht zu verwenden.
Die Schreibweise chinesischer Xan. XYII
IV. Die Schreibweise chinesischer Namen.
Bei da grossen Wichtigkeit, welche es gerade in China hat, die geographischen Namen nach bestimmten Regeln zu schreiben, und in An- betracht des Bedürfnisses nach Einheitlichkeit der Orthographie, welches in der Literatur über Schantung bald hervortreten wird, mögen hier einige Be- merkungen darüber gestattet sein. \ 'ielleicht finden sie Beachtung, als von Einem kommend, der während mehrjähriger Reisen durch fast alle Provinzen von China und noch länger dauernder nachheriger Arbeit ernstlich bestrebt ich durch die Schwierigkeiten der Rechtschreibung zu festen Grund>ätzen hindurchzuringen.
Als erste Regel hat zu gelten, dass man chinesische geographische Namen niemals nach dem Gehör allein zu schreiben hat. Die Aussprache ist nicht nur nach Provinzen und grossen Landestheilen bei dem Volk dialektisch verschieden, sondern nimmt auch im Mund von Individuen, oder bei den Bewohnern einer Gegend, oder, wenn es sich um Orte be- stimmter Kategorien handelt, bei einer Klasse von Menschen, wie Schifl- fahrern oder Fuhrleuten, hergebrachte Formen an, in denen sich wegen der weitgehenden Abschleifung der eigentliche Klang des Namens oft nur schwer erkennen lässt. Die Leute, welche niemals ein Wort phonetisch geschrieben gesehen haben, gewöhnen sich dabei an eine so undeutliche Aussprache,
wenn mehrere Fremde den gemeinsam gehörten Laut niederzuschreiben versuchen, fast stets mehrere Schreibarten herauskommen, von denen nicht eine einzige richtig ist. Manche grössere Reisewerke sind durch Anwendung dieser Methode der Niederschrift der Namen so verstümmelt, dass ihr Ge- brauch sehr erschwert und stellenweise, wo sich die Richtigstellung nicht ausführen lässt, fast unmöglich gemacht wird. Auch in die meisten Karten- skizzen und Berichte, die von Kiautschou gekommen sind, haben sich eine Menge von Namen eingeschlichen, welche in Folge der Niederschrift nach dem Gehör falsch und völlig unbrauchbar sind.
Bei keiner anderen Sprache kommt es so genau auf Aufstellung fester Regeln an, wie bei der chinesischen, und bei keiner ist es so leicht, diese zu befolgen, wenn man einige Mühe darauf verwendet. Es giebt in ihr nur etwa 330 durch das Alphabet darstellbare Silben, deren jede ein Wort ist. Bei vielen unter ihnen, die mit einem Konsonanten anfangen, kann dieser ohne oder mit Aspiration gesprochen werden; z. B. ta und t'a, tschang und tsch'arti/. Rechnet man sie hinzu, so wird die Silbenzahl auf etwa 400 ge- steigert. Ausserdem kann jede Silbe mit einem mehrfachen, in der Regel vierfachen Tonfall ausgesprochen werden, den der Chinese beim Vorlesen, oder wenn er den Klang eines Wortes besonders deutlich angeben will, zur vollen Anwendung bringt. Der Südchinese bringt ihn auch beim Sprechen zum Ausdruck; der Bewohner des mittleren und nördlichen China vernach-
\\[j[ Vorbemerkungen.
I ihn in der Regel bei der Unterhaltung. Bei sprai hin hen Werken i>t forderlich, bei jeder Silbe Tun und Aspiration genau anzugeben. In anderen, für das allgemeine Verständniss berei hneten Werken und auf Land- karten würde dies nur Verwirrung bringen; hier muss die möglichste Ver- einfachung angestrebt werden. Nur das Zeichen der Kürze (wie z. 15. o in fiö) ist zweckmässig anzubringen, da man an dieses gewöhnt ist und einen schnell erkennbaren Anhalt zur ri< trägen Aussprache erhält.
Von der Ausspra« he unabhängig i-t die chinesische Schrift, welche nur Begriffszeichen kennt und niemals im eigentlichen Sinn phonetisch ist. Ganz wie nach oft hervorgehobener Analogie* die arabischen Ziffern, die in allen Sprachen der Erde gelesen, aber in jeder anders ausgesprochen werden. kann jedes chinesische Schriftzeichen in jeder Sprache, die für den damit bezeichneten Begriff einen Ausdruck hat, gelesen werden. Es ist, wie die arabische Zitier, gewissermassen ein Symbol für den Begriff, aber ein in seiner graphischen Gestaltung nach festen Normen geregeltes Symbol.
Das Beständige, die Jahrhunderte Ueberdauernde ist die Schrift, die, wenn nicht ihre Aneignung so viel Zeit und geistige Kraft kostete, und ihre völlige Erlernung das Vermögen eines Menschen überstiege, das Ideal eines geschriebenen Volapük sein würde, da alle Menschen sich mittelst ihrer, innerhalb gewisser durch den Satzbau gegebener Grenzen, mit einander ver- ständigen könnten, wie die Chinesen, Japaner. Koreaner, Siamesen und Tibeter es in der That zu thun vermögen. Das Wandelbare ist die Sprache.. Denn da der Klang des Wortes, welches in einer gewissen Zeit für einen Begriff und das ihn symbolisirende Schriftzeichen angewendet wird, nicht durch eine Buchstabenschrift phonetisch festgelegt ist, so kommt er leicht in Fluss und erleidet zeitliche Aenderungen, die nicht in allen Theilen des geographischen Bereiches der chinesischen Sprache die gleichen sind.
Jeder chinesische geographische Name insofern er nicht gelegentlich offiziell mit einem anderen vertauscht wird) existirt daher im Allgemeinen unwandelbar fest in seinen Schriftzeichen, und von diesen hat jedes seine hi-torisch gewordene, daher zu jeder Zeit konventionell vorgeschriebene Aus- sprache durch eine Silbe, welche sich unter jenen etwa 330, durch An- wendung von Aspiration und Tönen sich erheblich steigernde Anzahl von Silben befindet. Die zeitlichen, regionalen und individuellen Abwandlungen, welche die Silbe erfahren hat, bewegen sich um eine bestimmte Norm. Es kommt nun, um die Silben durch europäische Buchstabenschrift auszudrücken, darauf an, diese Norm für jede der 330 Silben festzulegen, das hei-st. dieselbe für eine grosse Zahl verschiedener Begriffe verwendete Silbe kon- sequent in gleicher Weise zu schreiben. Nehmen wir z. B. die Silbe king in Peking und Nanking. Sie hat vielerlei Bedeutungen. Eine von ihnen ist Residenzstadt«. Das unwandelbare Schriftzeichen, welches für die zweite Silbe in den beiden Städtenamen gebraucht wird, zeigt uns, dass hier diese
Die Schreibweise chinesischer Namen. XIX
Bedeutung gemeint ist. Aber der Laut Lsi regional sehr verschieden. Fast durch ganz China findet man die Aussprache hing; abei im Norden ändert ne sii li in tiching, dsching, tying, dyxng. Es ist nun wesentlii h, dass d< r Einzelne sich derjenigen Schreibart, weh he er für diese bestimmte Silbe einmal anwendet, in allen anderen Fällen bediene und niemals andere Ab- wandlungen gebrauche.
Es ist daher für eine brauchbare Mieders« hrift erforderlii h, dass man >ich jeden geographisi hen Namen in seinen chinesisi den Zeichen s< hreiben tässt. Interimistisch kann man sich, wie ich es in meinen Tagebü« hern gethan habe, des nach der örtüchen Aussprache vorläufig niedergelegten Klanges bedienen. Aber eine endgütige Festsetzung der Schreibart kann erst dann geschehen, wenn man die Liste der chinesi-. h geschriebenen Namen von einem Sprachkundigen auf Grund der festgesetzten Norm nach dem Alphabet umschreiben lässt. Diese Grundregel sollte in Schantung be- sonders von Allen, welche sich mit kartographischen Aufnahmen beschäftigen, streng befolgt werden; sonst wird man bald ein unbrauchbares Gewirr von Namen haben.
Leider ist aber die von Europäern gebrauchte Norm der Niederschrift verschieden, und zwar nach zweierlei Richtungen, nämlich I . nach dem zu Grunde gelegten chinesischen Dialekt, und 2. nach der Art, wie in den einzelnen europäischen Sprachen der Klang in der Buchstabenschrift an- gedrückt wird. Ich will diese beiden Richtungen einzeln betrachten.
I . Was den zu Grund gelegten Dialekt betrifft, so besteht in China, neben allen regionalen Verschiedenheiten, eine Sprache der Gebildeten, mit der man sich fast durch das ganze Reich verständigen kann — genau wie der, welcher hochdeutsch spricht, in jedem Theil von Deutschland unschwer dazu kommt, sich mit den Bauern zu unterhalten. Mein Dolmetscher Splingaert und ich selbst, trotz des geringen Grades meiner Beherrschung der Sprache, konnten in allen Provinzen, von der Mandschurei und Tschckiang im Osten bis nach Schcn-i und Sz'tschwan im Westen, überall die Leute verstehen und uns ihnen verständlich machen, nachdem sie die erste Scheu vor dem ihrem Ohr fremdartigen Klang überwunden hatten. Unsere Leute aber, welche selbst den Dialekt irgend einer Provinz sprachen, fanden sich in einer entfernteren Provinz wie in ein fremdes Land versetzt, und oft mussten wir ihnen als Dolmetscher dienen, wie der hochdeutsch Sprechende es bei der Begegnung eines schlesischen und eines schwäbischen Bauern zu thun haben würde. Dieses Hoch-Chinesisch wird in der Regel als Mandarin- dialekt bezeichnet. Nur ganz im Südosten, in den Provinzen Kwangtung und Fokien, ist es nicht verwendbar. Die in diesem verhältnismässig kleinen Theil von China zahlreich nebeneinander bestehenden Sprachen ucii hen vom Chinesisi hen schlechthin weiter ab, als das Holländische vom I )< ut~ hen.
VY 'iincrkunpcn.
I - ist klar, dass in ganz China das Hoch-Chinesisch der Niederschrift dei Namen zu Grunde zu Legen ist, um Gleichmassigkeit zu erzielen. Dies Ist auch bis vor Kurzem stets befolgt wurden; man gestattete sich aus Zweck- mässigkeitsrQcksichten nur einige kleine Ausnahmen. Ein konsequent* - Abwiii hen davon ist erst in neuester Zeit durch Sir Thomas Wade eingeführt worden, dessen grosses didaktisches Talent den Erfolg gehabt hat, dass seine Lehr- und Schulbücher zur Grundlage der Erlernung des Chinesischen benutzt werden. Da er immer in Peking lebte, hatte sich sein Ohr an den dortigen Lokaldialekt s<> gewöhnt, dass er ihm als Norm Alles untergeordnet hat. Nach ihm würde man, abweichend von der Aussprache in beinahe dem gesammun Reich, Pet.se/iinr/ statt Peking und Tscliiautsc/iou (englisch Chiaochou) statt Kiautschou zu schreiben haben. Es ist zu hoffen, dass man von dieser Schreibart, die zum Glück in deutschen Atlanten keine Aufnahme gefunden hat, wieder abgehen wird. Die hohe Stellung von Sir Thomas Wade, welcher zuletzt den Posten eines englischen Gesandten in Peking inne hatte, hat es mit sich gebracht, dass seine Schreibart für die englischen Behörden und das kaiserliche Seezollamt, dessen englische Leitung sich ebenfalls in Peking befindet, maassgebend geworden ist.
2. Bezüglich der Wiedergabe des Lautes der chinesischen Namen nach der im Einzelfall angenommenen Norm durch europäische Buchstabenschrift waltet noch grossentheils die nationale Ungleichheit, welche in der Trans- skription fremder geographischer Namen überhaupt vorhanden ist. Die Be- werthung und Aussprache der Schriftzeichen des deutschen Alphabets gewährt den Vortheil, dass sich die chinesischen Laute (ausser einem, welcher dem französischen j am meisten entspricht") phonetisch beinahe genau durch die Buchstabenschrift wiedergeben lassen.
Besonders gilt dies für die Vokale. Von diesen besitzen die Chinesen, nach deutscher Aussprache, die folgenden: </. e und e, i und i, o und o, u, ä, ö rimmer kurz), ü (lang und kurz).
Dazu kommen die Diphthonge: ai, au, ei. öu; ferner ein tonloser Vokal, welcher dem durch e ausgedrückten Schlussvokal in den deutschen Worten Strasse und Katze am nächsten entspricht und nur in den ihnen entsprechenden Silben sze und tsze vorkommt. Diesen Werth haben sie, wenn sie am Ende eines zusammengesetzten Wortes stehen, wie in Tangtsze. Stehen die beiden Silben selbstständig da, oder am Anfang Hnes zusammengesetzten Namens, so lassen sie sich in keiner europäischen Sprache schreiben. Hier ist dann s:' und tszc gesetzt, wie in dem Namen der Provinz Sz'-tschwan.
Im Chinesischen kommen noch eine Anzahl diphthongartiger Vokal- msammensetzungen vor; so ua (z. B. in miau . ue in ywn), MO in tschuo),
Schreibart chinesischer Namen. XX]
in hriu . &u in ///'-. i,iu in kiau . iu in nru und fä
(in tiän, wofür aber die & hreibart tien oder, im Englisi ben, f»>»a eingeführt i-t .
Die Engländer, welche früher e für /. oo für u wir- in Chqfoo, -t.a;
fa , otc für <///. i für od u. s. w. schrieben, haben in neuerer Zeit das
dich klärende l'iiixip aufgestellt, die Vokale so zu schreiben, wie sie
im Italienischen ausgesprochen werden. Auch Wade folgt dieser Vorschrift.
Eis wäre zweckmäßiger gewesen, die deutsche Aussprache zum Anhalt zu
nehmen, weil die italienische Sprache <-'/, o, ü, die kurzen Vokale und die
Diphthonge nicht kennt. Es wird im Englischen geschrieben: a, e, ?', o} u, ü
in demselben Sinn wie oben; dazu aber eh für e, ih für ?, 4 für 5, e für ä.
Von Diphthongen schreiben sie, demselben Princip entsprechend, ai, ou ammer
ö-u zu lesen , ei (ebenso e-i zu lesen); aber zu au haben sie sich, ebenso
wie die Franzosen, nicht entschliessen können, und schreiben dafür ao, was
der chinesischen Aussprache nicht gemäss ist; die Franzosen wenden auch
aou an.
Von Konsonanten hat das Hoch-Chinesisch die folgenden;
/, h (immer guttural, wie in Sadjeit), das französische j, k, /, m, n, p, s (immer scharf;, seh (englisch sh), t, tsch (englisch ch) ; dazu ein aspirirtes s, welches nur vor i und ü steht und hs zu schreiben ist. Früher machte es Schwierigkeiten. Für das häufig vorkommende Wort, welches »Kreisstadt« bedeutet, schrieb man bald hien, bald ii, während jetzt die gut entsprechende Schreibart hsien (oder hsien gebräuchlich ist.
Dazu kommen die Halbkonsonanten:
io (immer wie im Englischen) und y, das nur am Anfang der Silben zu gebrauchen ist und dem deutschen ;' entspricht.
Zu vermeiden sind bei den Transskriptionen alle Buchstaben, welche aus zwei Konsonanten bestehen. Dahin gehören: x statt ks, deutsches z statt [< utsches ce oder ci statt tse oder tri.
Schreibart in diesem Buch. — Um eine dem Hoch-Chinesisch in möglichst genauem Anschluss entsprechende, der deutschen Schreibart angepa—te Norm anzuwenden, habe ich für den Gebrauch in meinem
ren Werk über China und dem dazu gehörigen Atlas mit einem der hervorragendsten Kenner der chinesichen Sprache, meinem früh verstorbenen Freund, dem ehemaligen Sekretär-Interpret der Preussischen Gesandtschaft in Peking und -pateren deutschen Konsul in Amoy, Herrn Karl Bismarck, ein Schema für die Transskription aller chinesischen Silben ausgearbeitet. Es ist im 2. Band des Werkes »China« auf Seite XXI bis XXIV der Vorerläuterungen ausführlich mitgetheilt. Dieses Schema ist hier zu Grunde gelegt , mit der einzigen Abänderung, dass ich mich der dem deutschen Leser geläufigeren Ziechen seh und tsr/i statt der dort gebrauchten sfi und tsh bedient habe.
v- v- 1 1 Voi bemei kungen.
Ob ein Anderei dieses od« das Wade'sche Schema, oder ein \<ü) beiden abweichendes anwende, jedenfalls sollte man eine bestimmte Norm haben, nach der mit Konsequenz alle Namen auf Grund der chinesischen Schriftzeichen in alphabetischer Schrift niedergelegt werden.
Zur Aussprache der geschriebenen Namen ist zu bemerken, dass jeder einzelne Vokal mit seinem Werth im Deutschen zu lesen ist. also ou wie Ö-U, nicht wie U. Bei den häutig vorkommende Silben tschou (z. B. in Kiautschou und kou ist dies zu beachten. Die weiteren Regeln sind: a ist immer scharf, wie das deutsche fj.
i, Ist stark guttural, wie das rh in Badjen; also /. B. Hwcmg-ho zu sprechen wie CSljiuangcfjo:
j wie im französischen:
»•wie im Englischen: das deutsche u ist hierfür nicht entsprechend. Es erübrigt noch ein Wort über den Gebrauch der Bindestriche. Man ist gewöhnt, bei jedem chinesischen Namen die Silben durch Binde- striche zu trennen. Nur bei Provinznamen und den oft in abweichender Form in die europäischen Sprachen aufgenommenen Namen der Vertrags- häfen und allgemein bekannten Orte, wie Tschifu, Schanghai, Kiautschou, Peking. Hongkong, Tschusan etc., werden sie in der Regel weggelassen. Die Bindestriche sind insofern gerechtfertigt, als jede Silbe ein Wort bedeutet. Doch machen sie das Lesen schwerfällig, und es darf als gestattet gelten, sie wegzulassen, gerade wie wir geographische Namen zusammenhängend zu schreiben pflegen. Namen wie: Oderstrom, Weisswasser, Bodensee, Schnee- koppe, Weisskugel, Grossglockner, Brandenburg, Karlsruhe, Hohenfriedeberg, Warnemünde, sind genau so zusammengesetzt wie die chinesischen. Ich habe daher die Bindestriche im Princip weggelassen. Doch bringt es die Art der Transskription mit sich, dass es zuweilen zweckmässig erscheint, das Princip zu brechen. Besonders gilt dies für die mit h vor einem Konsonanten beginnenden, angehängten Silben, z. B. bei der häufig vorkommenden Silbe fisir/t Kreisstadt). Der Deutsche ist gewöhnt, das h mit dem vorangegangenen Vokal zu verbinden. Es ist also Tsinanfu zusammenhängend geschrieben, aber Wei-hsien statt Wähsien. Bei der Silbe ngan war derselbe Grund maassgebend ; ich habe z. B. Lu-ngan-fu statt Lungan/u geschrieben, umsomehr als auf den Bezirk Lu besondere Rücksicht genommen worden ist. Auch im Deutschen sind diese Ausnahmen von der Regel des Zusammenziehens nicht selten, wie z. B. bei den Namen von Seen, von Inseln und städtischen Strassen. So schreibt man Neu-Guinea, Bären-Insel, Kieler Förde, Friedrich- Strasse mit oder ohne Bindestrich. Ich habe letzteren besonders dort eingesetzt, wo es darauf ankam, die Bedeutung der einzelnen Silben hervorzuheben; z. B. bei Hsinho-kiau, welches Brücke über den Fluss Hsinhö« bedeutet.
Rangabstofangen der St&dte. XXIII
V. Rangabstufungen der Städte.
feder chinesische Ortsname endet mit einem Suffix, welches die Rang- stufe des Ortes, wie auch die des ihm vorgesetzten Beamten, im Ver- waltnngsorganismus eben so genau anzeigt, wie in Europa die Rangabzeichen der Offiziere deren Stellung in der Armee kundgeben. Diese Besonderheil
mit dem den Chinesen von jeher eigenthümlich gewesenen Bestreben zusammen, in allen staatlichen Einrichtungen feste und äusserlich erkennbare, auf Rangordnung beruhende Abstufungen nach genau vorgeschriebenem Schema durchzuführen. Ein gutes Geschick hat sie vor der Klippe des ge- haftlichen Kastenwesens bewahrt, welches mit seiner endlosen Zahl ge- künstelter Vorschriften das Leben der Inder in enge Fesseln schlägt. Viel- mehr ermöglicht es das in Europa oft geschmähte oder verlachte Princip ihrer Staatsprüfungen dem Geringsten, sich nach Maassgabe seiner Fähig- keiten und erworbenen Kenntnisse bis zu den höchsten Stellungen im Staat aufzuschwingen. Im Gegensatz zu dieser freiheitlichen Unterlage steht die von oben her bis zu den letzten Einzelheiten durchgeführte starre Gliederung der Verwaltung. Sie ist in einen Kodex von ceremoniellen Vorschriften eingezwängt, der seines Gleiclien nach dieser Richtung bei keinem anderen Volk hat. Seinen höchsten Ausdruck hat er in dem Buch Tschöu-li. oder dem Ritual der Tschöu- Dynastie 1122 — 249 v. Chr.1 gefunden, dessen issung um das Jahr 1 I üü v. Chr. angesetzt wird.
Unter den Zahlen, welche die Norm bei den Einteilungen verschiedener Gegenstände bilden, hebt sich die Neunzahl als bestimmend für den Ver- waltungsorganismus schon in den ältesten Aufzeichnungen hervor, welche noch um ein Jahrtausend weiter als das Tschöuli in der Geschichte zurück- reichen. Die Staatsbeamten gliedern sich in neun Kategorien, deren jede zwei Stufen hat und durch die Farbe des Knopfes auf dem Hut sofort kenntlich ist. Dieselbe Neunzahl ist für die Verwaltungskategorien und die fast jeder Kategorie als Sitz der obersten Behörde vorgesetzten Orte bestimmend.
1. Obenan steht der Bereich des Generalgouvernements, welches eine oder zwei Provinzen umfasst. Der Generalgouverneur oder Vicekönig, mit dem Titel Tsungtu, ist Mandarin vom ersten Rang. Er residirt in einer Provinzhauptstadt, welche aber dadurch einen besonderen Titel nicht erhält.
2. Der nächste Rang kommt der Provinz — Hsing oder Schöng — zu. Das eigentliche China ist in 18 Provinzen getheilt, welche aus der früher auch hierfür angewendeten Neunzahl hervorgegangen sind und eine mittlere
se von 220 000 qkm, bei einer mittleren Bevölkerung von jetzt ungefähr
23 Millionen Seelen, haben. Das mittlere Areal entspricht nahezu dem von
uid und Schottland, die mittlere Bevölkerung erreicht beinahe die Zahl wie
bterreich ohne Ungarn , oder wie in dein gesammten türkischen Reich in
pa, Asien und Afrika. Die Hauptstadt der Provinz, als Sitz der höchsten
\ \ IV Vorbemerkan
Provinzialbehörde, erhall denselben Titel; so hal die Hauptstadt von Schantong den Namen Tsinartfu-Hwig. Der Gouverneur der Provinz — Futai — ist Mandarin vom zweiten Rang.
3. Der Oberbezirk — Tau. Die Provinz ist in mehrere dit-Ner Ober-
: heilt, tleren jeder im Durchschnitt etwa drei Bezirke der vierten und fünften Klasse (Fu und Tschöu I) umfasst. Der Vorgesetzte ist Mandarin vom dritten Ran.; und hat den Titel Tautai. Er residirt in einer der ihm rugetheilten Bezirksstädte neben dem Fu-Beamten. Daher fällt bei den Städtenamen die Bezeichnung dieser Kategorie aus.
4. Der höhere Regierungsbezirk — Fu \
5. Der niedere Regierungsbezirk — Isc/n/itschöu , d. i. Tschöu mit eigener Verwaltung, oder Tschöu erster Ordnung (Tschöu 1).
Diese beiden Klassen von Regierungsbezirken stehen unter Mandarinen vom entsprechenden 4. und 5. Rang, welche die Titel Tschi-fu und Tschi- tschöu (eigentlich Tschi -li-tschi- tschöu) führen. Sie unterscheiden sich da- durch, dass der Fu-Bezirk ebenso Hsien-Kreise wie Tschöu-Kreise, der Tschöu- Bezirk aber nur Hsiün-Kreise unter sich hat. Die Hauptstädte der Bezirke führen ebenfalls die Prädikate fu und tschöu; z. B. Lai- tschöu -fu und Tn- ning- tschöu in Schantung. Als Bezirk umfasst ersteres 7 Kreise, nämlich 2 vom Rang eines Tschöu II darunter Kiautschöu), und 5 vom Rang eines Hsien; letzteres dagegen nur 3 Hsien-Kreise. Als Verwaltungssitze aber unter- scheiden sich die beiderlei Hauptstädte dadurch, dass die Fu- Stadt der Wohn- sitz des Tschifu und gleichzeitig des Tschi-hsien des zur Stadt selbst ge- hörenden Kreises ist. während der Tschi-tschöu des Tschöu-Bezirkes den Stadtkreis selbst verwaltet und ausserdem den Tschi-hsien's der zum Bezirk sonst noch zugehörigen Kreise vorgeordnet ist. Ist ein Fu Provinzialhaupt- stadt, wie Tsinanfu, so gehören der Stadt meist zwei Hsien-Kreise an.
6. Es folgen: der Kreis höheren Ranges, oder das Tschöu zweiter Ordnung (Tschöu 11), und
7. Der Kreis gewöhnlichen Ranges, oder der Kreis schlechthin — ]/-■■'■> früher auch hien und sien geschrieben). Diese werden von Mandarinen vom
6. und 7. Rang, Tschitschöu und Tschi-hsien verwaltet. Der Unter- schied ist gering. Beispiele geben Kiau-tschöu und Tshno-hsien in Schantung. Die Hauptstädte haben denselben Namen.
Alle hier genannten Yerwaltungseinheiten stehen unter Civilbehörden. Es giebt auch, besonders in den Grenzprovinzen, Orte mit Militärverwaltung. Sie sind vom 5. und 6. Rang und führen den Namen Ting I und Ting II. In Schantung kommen sie nicht vor.
So weit wird die Systematik streng durchgeführt. Bei den unteren Rangstufen ist sie weniger zu erkennen. Dort scheinen viele Willkürlichkeiten und Abweichungen vorzukommen.
Maas und Gewicht XXV
VI. Maass und Gewicht.
Alle in China angewandten Einheiten für Längenmaasse, Flächenina Raummaasse und Gewichte stammen aus der ältesten /«it. Sie sind auf ein es Verhältniss gegründet, und die Unterabtheilung der normalen zu niederen, ebenso wie ihre Summirung zu höheren Einheiten, beruht entlich auf dem I )•■' in. iN stem.
der Ableitung von einander erinnert das chinesische System am ten an das metrische. Einiges darüber ist auf Seite 152 tnitgetheilt. Der Werth der Maasse hat im Lauf der Zeit etwas geschwankt, und statt der im 5ten Alterthum angestrebten Gleichheit der normalen Einheiten über das Hei. h ist eine grosse Mannigfaltigkeit getreten, weit grösser, al< sie im Anfang dieses Jahrhunderts innerhalb des jetzigen Deutsi hen Reichs bestanden hat. Für den auswärtigen Handel war es erforderlich, soweit die Maasse für ihn in Betracht kommen, feste Normen einzuführen. Dies scheinen die malay- ischen Händler schon längst vor Ankunft der Fremden in China gethan zu haben; denn aus ihrer Handelssprache stammen die Worte, welche für die bezeichnete Gruppe von Maasseinheiten eingeführt worden sind. Die Britisch- ostindische Kompagnie hat sie übernommen, und von ihr sind sie auf den heutigen Handel und Verkehr übergegangen. Die hierauf bezüglichen Ab- leitungen der jetzt gebräuchlichen Ausdrücke entnehme ich dem hervorragenden Werk von Henry Yule: Glossary of Anglo-Indian words, London 1886.
Kür die Längenmaasse ist die Grundeinheit der techl, oder chinesische obgleich nach der alten Ableitung S. I 52 der fönn (=Vioo Fuss), als der Durchmesser eines Hirsekorns, das Urmaass bilden würde. Der tschl ist = 10 tsun oder Zoll, I (sun = \0/önn oder Linien. 10 tscht sind = I tschang. Dieser ist ein im Bergbau häufig angewandtes Maass; z. B. werden die Tiefe der Schächte oder die Längen der Stollen immer in tschang ausgedrückt.
Der tschJ unterliegt provinziellen Schwankungen. Sein Werth ist durch die englischen welche maassgebend sind, für den Handelsgebrauch
zu 3,581 Meter festgesetzt.
Das Einheitsmaass für räumliche Entfernungen ist die li. Da die in in Stunden zu Fuss oder mit Packthieren zurückzulegende Tagereise zu 100 li angenommen wird, scheint dieser Begriff zu Grunde zu liegen. Dem- gemäss ist im Yolksgebrauch die Strecke von 100 li verschieden je nach der Gangbarkeit des Weges. Auf ebenem Boden ist sie länger, als wo der
einen Pass überschreitet; und wo An- und Abstieg lang sind, wird die
Entfernung der Höhe von der Ebene in -ehr verschiedenen Zahlen angegeben,
je nachdem man hinauf oder hinabsteigt. Es ist derselbe Begriff, welcher
den Tyroler Stunden und den S< hweizer l're innewohnte, ehe dafür
Werthe eingeführt wurden. Hat man weite Entfernungen zurückzulegen.
XXVI Vorbemerkung in.
bo kann man die Anzahl der l>ci stetigem Reisen erforderlichen Tage genau berechnen, wenn man die allgemein angenommene Zahl der li mit 100 dividirt; dabei haben alle die Strecken, auf denen man langsam fortkommt, ihre Rechnung gefunden. Dies ,^ilt übrigens nur für Landreisen. Auf
\\ asserwegen hat die li einen kleineren W'erth.
Indessen machte sich die Nothwendigkeit geltend, bei Anlage von
sen und Kanülen eine Norm für die Länge der li festzusetzen. Dafür wurde der pu oder Schritt eingeführt, dem man die exorbitante Länge von 5 Fuss gab. Man nahm die li zu 360 Schritt = 1800 tschl oder Fuss an. Auch damit war eine Einheit nicht vorhanden, weil der (sc/n vielfachen Schwankungen unterliegt. Die Jesuiten haben daher für ihre Zwecke das feste Maass:
200 li = 1 Grad des Aequators, oder I li = 5 56,5 Meter. fuhrt. Unter Kaiser Kanghi wurde dies die Norm, obgleich der tsc/u sich daraus nur zu 3,2 5 Meter ergeben würde. Da bei Entfernungsangaben an der Strasse die Zahl der Li immer etwas reichlich, ihre Länge also etwa- kürzer ist, so kann man schlechthin für die Länge der Li einen halben Kilometer ansetzen.
Für das Gewicht ist die eigentliche Norm der Hang oder die Unze. Die Malayen nannten ihn ta/iil, und daraus ist das gebräuchliche Wort Tael entstanden. Der Liang wird nach dem Decimalsystem eingetheilt. 1 tsii-n, = Vio Hang, wird im Malayischcn mos vielleicht von dem sanskritischen maschd) genannt; die Portugiesen schrieben früher maz, die Engländer mass. Jetzt schreiben diese mace, und dadurch ist die Aussprache verderbt worden, so dass die Deutschen fälschlich mäss, mähs und mäliss schreiben. I fönn als Gewichtseinheit (== '/io tsieii und = '/ioo Hang) wird im Malayischen Kanduri genannt; daraus ist Kandarin (englisch candareeri) gebildet.
Nach oben findet sich die einzige Abweichung von der Dezimal- einthcilung, indem 16 Hang auf I Kin oder Pfund gehen. Dieses heisst malayisch Kati, daher englisch cattij, in verderbter deutscher Nachschrift Kätti. Wie hierin, so haben auch in der weiteren Eintheilung nach oben die Chinesen den europäischen Brauch; denn sie steigern sofort auf 100, indem 100 kin= 1 tan oder Centner sind. Dieser wird nach dem malayischen Wort piktd auch von den Engländern Picul genannt.
Da der Werth des Hang nicht nur nach Provinzen, sondern auch von Ort zu Ort grossen Schwankungen unterliegt, und damit alle anderen Gewichte schwanken, ist es nothwendig gewesen, auch betreffs des Gewichtes für den Handel bestimmte Werthe einzuführen.
Nach Uebereinkommen ist der Werth der Handelsgewichte, zum Zwei k der Reducirbarkeit auf englisches Maass, festgesetzt worden zu:
1 Katty= I '/a Pfund avoir du poids =604.5 Gramm.
M.ik-s uuil Gewicht X.W II
Danach ist:
i rael als Gewichtseinheit =37.79 Gramm
I Pikul = 60.45 Kilogramm
Mithin i-t:
I metrische Tonne = 1654 Kam
I englische Tonne =1681 Katty.
Chinesische Raummaasse und Flächenmaasse kommen in d Buche nicht in Betracht
Bezüglich der Zahlungsmittel kann ich auf das verweisen, was im Text auf Seite MC) — 118 gesagt i<t.
f
ERSTES KAPITEL.
Von Schanghai bis über die Grenze von Schantung.
Im Jahr 1868 kam ich zum zweiten Mal nach China. Ich fuhr von San Francisco über Japan und erreichte Schanghai am 5. September.
Schon einige Jahre zuvor war ich dort gewesen, da ich das Glück gehabt hatte, als Geolog die preussische Expedition zu be- gleiten, welche, unter Leitung des nachmaligen Ministers des Innern Grafen Friedrich zu Eulenburg als ausserordentlichen Ge- sandten, auf den Kriegsschiffen »Arcona«, »Thetis« und »Frauen- lob im Jahr 1860 nach Ostasien ging, um Handelsverträge mit China, Japan und Siam abzuschliessen. Nach flüchtigem Besuch von Hongkong und Kanton und einem fünfmonatlichen Aufenthalt von höchstem Reiz in dem damals noch jungfräulichen Japan kam die Expedition im Frühjahr 1861 nach Schanghai. Die Gesandt- schaft ging von dort nach Tientsin und Peking. Da aber in jener Zeit eine Möglichkeit zu erfolgversprechenden Reisen im Inneren von China noch nicht vorhanden war, erhielten die Naturforscher die Vergünstigung, eine ebenso lehrreiche als angenehme Fahrt mit der »Thetis« über Formosa nach den Philippinen, Celebes und Java auszuführen, um erst in Siam wieder mit der Expedition zu- sammenzutreffen. Von dort trat diese die Heimfahrt an. Ich trennte mich und verweilte in Hinterindien, Ostindien und in den westlichen Küstenländern von Nord-Amerika. Dort fasste ich den Plan, vor meiner Rückkehr nach Europa eine geologische Er-
v. Richthofcn, Schantung. I
•> Ki).. l. Von Schanghai nach Schantung.
hung des inzwischen besser zugänglich gewordenen China
auszuführen; denn unter den damals noch minder bekannten
Ländern der Welt schien mir keines so grosse Wichtigkeit zu be- sitzen wie dieses, und in gleich hohem Maass einen aussichts- vollen Gegenstand der Untersuchung zu bilden.
Ein weites Gebiet lag vor mir; es schien ohne Grenzen zu sein. Vergeblich suchte ich in Schanghai durch Erkundung Auf- schluss zu erhalten, um einen geeigneten Plan der Bereisung zu entwerfen. Zum Studium der neueren Litteratur hatten mir Zeit und Gelegenheit bisher gefehlt; auch würde ich darin die für meine Ziele erforderliche Information nicht gefunden haben, denn nur Wenige waren dort über kleine Wasserfahrten hinausgekommen. Was man bis 1834 wusste, hatte Karl Ritter in den ersten Bänden seines monumentalen Werkes über Asien zusammengefasst, und wesentlich Neues war nicht hinzugekommen. Zur Forschung lockte am meisten der ferne Westen: die Grenzgebiete gegen Tibet. Aber praktisch wichtiger erschienen die Gegenden an den Küsten und den grossen Strömen. Ich ging zur See über Tschifu nach Peking und erhielt dort einen Pass vom Tsungliyamen, der mir nachträglich aber wenig nützte. Der stellvertretende Dolmetscher der Gesandtschaft hatte meinen als »Li« angegebenen Familien- namen mit einem Schriftzeichen ausgedrückt, das »Kastanienbaum« bedeutet. Zu meiner Verwunderung sah ich, dass dieser Pass geringschätzig behandelt wurde. Als ich ein Jahr später wieder nach Peking kam, erklärte mir der nun anwesende erste Dolmetscher, mein nachher in frühem Alter verstorbener Freund Karl Bismarck, sofort, dass dies ein Familienname von geringem Werth sei, und er besorgte mir einen neuen Pass, auf dem mein Name ebenfalls mit der Silbe »Li« ausgedrückt, aber mit einem Schriftzeichen wiedergegeben war, welches »Pflaumbaum«; bedeutet. Damit war ich einer hochgeachteten Familie zugetheilt, derselben, welcher Li- hung -tschang angehört, und dieser neue Pass wurde stets mit Hochachtung behandelt, die sich auf seinen Inhaber übertrug.
Nach Schanghai zurückgekehrt, unternahm ich als erste Vor- übung einige Wochen hindurch eine Fahrt auf kleinen Booten nach den südwestlich angrenzenden flachen Landschaften bis Ningpo
Reuepline* ?
und lernte dabei tue lieblichen Tschusan-Inseln kennen. Mein Interesse für das Land wurde geweckt Dann, im Januar und Februar 1869, untersuchte ich die Ufer des Yangtszelciang zwischen Schanghai und Hankau, indem ich von dieser Stadt auf einem für den Zweck gemietheten, bequem eingerichteten europäischen Segelboot den Strom ungefähr 1 100 km weit langsam herabfuhr und an zahlreichen Stellen vom Ufer aus nach dem angrenzenden Hügelland Ausflüge unternahm.
Bei der Seefahrt nach Peking hatte die gebirgige Küste von Schantung meine Aufmerksamkeit erregt. Der Wunsch lag nahe, ihren Bau zu untersuchen und das Bergland im Inneren kennen zu lernen. Ueberdies hatte mir ein Missionar der schottischen Bibel- gesellschaft. Herr Alexander Williamson, mancherlei darüber er- zählt. Dieser treuherzige, wohlwollende Mann lebte mit Familie in Tschifu. Seit einigen Jahren war er in den Xordprovinzen von China gereist, um in Dörfern und Städten Bibeln zu vertheilen, und Schantung war eines der Felder der ihm zugewiesenen Thätigkeit. Seine Leutseligkeit machte ihn bei den Chinesen aller Stände beliebt; eine imposante Hünengestalt und ein langer schwarzer Bart trugen zu der Ehrfurcht bei, welche sie ihm zollten. Waren -eine Erfahrungen auch nicht immer erfreulich gewesen, so wusste der durch und durch optimistische Missionar doch Alles zum Besten auszulegen und mir Schantung in rosigem Licht zu malen. Er hat bald darauf ein Buch über seine Reisen geschrieben; im Jahr 1889 ist er in Tschifu gestorben. Sein Buch ist meines Wissens das einzige, welches grössere Reisen durch Schantung ausfuhrlich beschreibt. Es erzählt die Erlebnisse eines eifrigen Mi>-ionars; doch ist auch viel Thatsächliches von Werth darin zu finden, wenngleich scharfe Beobachtung und kritisches Urtheil nicht des Verfassers stärkste Seite waren.
Der Begegnung mit Herrn Williamson habe ich es zu ver- danken, dass ich Schantung als mein nächstes Ziel wählte. Ich war dort von März bis Mai 1869. Es war meine erste Landreise in China; noch fehlte mir die Kenntniss der zweckmässigsten Methoden; auch hatte ich nachträglich den Mangel an Yorkennt- n über historisch denkwürdige Stätten zu bedauern. Dadurch
i Kap. I. \'"ii Schanghai nach Schantung.
entging mir der Besuch mancher Orte von Interesse, wie der Grab- stätte des Konfutsius und des heiligen Berges Taischan. Geolo- gisch und geographisch war das Land unerforscht. Um einen Aidi. dt zu haben, wählte ich als Leitpunkte meines Reisew<
die Stellen, an denen nach erhaltener Information Steinkohle vor- kommen sollte. Einerseits bieten deren Lagerstätten stets ein zu- gleich wissenschaftliches und praktisches Interesse, und dann handelte es sich damals noch um die Frage, welchen geologischen Alters die Kohlen von China seien. Ein vorzüglicher amerikanischer Geolog, Herr Raphael Pumpelly, hatte Landreisen in der Nahe von Peking ausgeführt und von dort Schiefer mit pflanzlichen Resten mitgebracht. Der Paläontolog Herr Xewberry, dem sie zur Bestimmung übergeben wurden, glaubte darin das Alter der Trias zu erkennen, was auch für die dortigen Kohlen annähernd richtig ist. Daraus war der weitreichende Schluss gezogen worden, dass alle Kohlenfelder von China dieser Formation zugehören und so- mit erheblich jünger seien, als die grossen Lagerstätten in Europa und Nord-Amerika. Dies war von vornherein geeignet, ein Miss- trauen gegen die günstige Beschaffenheit der chinesischen Kohle im Allgemeinen zu erwecken. Ich hatte zwar schon am Yangtsze" Kohlenflötze gefunden, die auf Grund begleitender Versteinerungen sicher der Steinkohlenformation im Alter entsprachen; aber es war eine offene Frage, inwieweit dieses Ergebniss allgemeinere Geltung habe. In Schantung schien sich Gelegenheit zu ihrer Lösung zu bieten.
Es fiel mir das ausserordentliche Glück zu, für diese Reise einen Begleiter zu finden, der nachher mein treuer Gefährte auf meinen vierjährigen Wanderungen durch alle Theile von China geblieben ist. Ein junger belgischer Ylame, Paul Splingaert, war einige Jahre zuvor mit der neu eingerichteten belgischen Mission nach der Mongolei gezogen. Er hatte ihr drei Jahre zu dienen und war dafür von der Militärpflicht in seiner Heimath befreit. In dieser Zeit hatte er die Beherrschung der chinesischen Um- gangssprache in ungewöhnlichem Grad gelernt. Nach Beendigung seines Trienniums wurde er bei einer der Gesandtschaften von Peking als Polizist angenommen. Als er in dieser Eigenschaft
l';iul Splingaert z
den Auftrag ausführte, einen grösseren Transport von Geld und Werthpapieren von Tientsin nach Peking zu besorgen, hatti das M hick, seine Schätze gegen einen anderen Europäer,
der sich daran vergreifen wollte, mit der ihm amtlich übergebenen Watte vertheidigen zu müssen. Der Streit hat verhängnissvolle Folgen gehabt. Splingaert wurde darauf in Schanghai vor Gericht gestellt und hier freigesprochen, da er sich in berechtigter Noth- wehr befunden habe; aber er wurde zunächst von den Europäern gefurchtet und gemieden. Noch während die Untersuchung schwebte, war mir gestattet worden, ihn bei der Fahrt auf dem Yangtsze" mit mir zu nehmen. Hier lernte ich seine unschätzbaren Eigen- schaften kennen. Er war treu wie Gold, unbedingt zuverlässig, und verband Energie mit Klugheit und Humor in bemerkens- werther Weise. Als Dolmetscher war er daher unübertrefflich. Er verstand die Chinesen, und sie liebten seinen Verkehr. Daher nahm ich ihn bei der Rückkehr nach Schanghai fest in meinen Dienst. Wahrend der vier Jahre gemeinsamen Reise ns hat er nie einen Anlass zur leisesten Disharmonie gegeben. Nach unserer Trennung hat er eine chinesische Christin geheirathet und ein selbstständiges kaufmännisches Geschäft begonnen. Dann trat er in chinesische Dienste und ist seitdem eine der populärsten Persön- lichkeiten im nördlichen China geworden. Mit dem Rang eines .Mandarins ging er nach Central-Asien in verschiedenen Aufträgen; er war dort in den meisten Städten, hat manchen europäischen, besonders russischen Reisenden Dienste erwiesen, und, wie Diese berichten, soll von Kaschgar bis zur Grossen Mauer Jedermann ihn kennen. Zuletzt war er Friedensrichter in der wichtigen Grenzstadt Sutschou, weit im Westen, nahe der Grossen Mauer, und er scheint dieses Amtes mit salomonischer Weisheit gewaltet zu haben. Denn so lange er dort war, soll es ihm gelungen sein, jeden Streit gütlich zu schlichten, so dass die Bewohner aus weitem Umkreis zu ihm strömten. Als er abberufen wurde, gab ihm die ganze Stadt ein ehrenvolles Abschiedsgeleit Kr ist letzt Mandarin vom Rang eines Oberst.
Ausser Splingaert hatte ich mit mir einen Chinesen, Namens Afong, als Diener und Koch. Er war aus Ningpo, was an sich
K:ip. I. Von Schanghai nach Schantnng.
eine Empfehlung ist; denn die dortigen Leute sind bekannt wej ihres sanften, fügsamen Charakters und geben vorzügliche Diener ab. Ich verliess Schanghai am 14. März 1869 auf dem Dampfer
einer amerikanischen Gesellschaft, welche damals da- Monopol der Dampfschiflfbeförderung von Passagieren und Gütern auf dem Yangtsze1 besass. Das Schiff hatte schwere Ladung, und wir er- reichten Tschinkiang erst am späten Abend des folgenden Tages. Die Stadt liegt auf etwas erhöhtem Grund am rechten Ufer. Der Anlegeplatz der Dampfer war ein sogenannter Hulk, d. h. ein altes, seiner Takelage beraubtes Schiff, welches mitten im Strom verankert war. Auf einem besonderen Oberbau wohnten die Be- amten der Gesellschaft, und man hatte auch für die bei Xacht ankommenden Passagiere Einrichtungen zur Unterkunft anbringen müssen, weil trotz der geringen Entfernung die Ueberfahrt nach der Stadt oft mit Gefahr verbunden war. Der Yangtszö ist bei Tschinkiang 40 bis 50 Meter tief, und es bietet sich guter Anker- grund nur auf der nördlichen, der Stadt gegenüberliegenden Seite des Elusses. Anlegeplätze für grosse Schiffe bestanden daher nicht, und man hatte zu dem beschriebenen, für den Verkehr unbequemen Auskunftsmittel seine Zuflucht genommen. Später ist eine Verbesserung eingeführt worden, indem die Gesellschaft ein chinesisches Grundstück auf der Stadtseite ankaufte und den Hulk dort unmittelbar am Ufer in grosser Tiefe fest verankerte. Jedoch wurde dadurch der Schwerpunkt des Platzes zum Schaden der fremden Ansiedler verschoben; denn der Anlegeplatz der Dampfer bildet bei den kleineren Stromhandelsplätzen den Mittel- punkt des Verkehrs, und alle Ansiedelungen richten sich nach ihm. Die meisten fremden Handelshäuser hatten kostspielige Gebäude in einiger Entfernung gegen Westen errichtet, und die Grund- stücke bei der chinesischen Stadt hatten den geringsten Preis. Jetzt stiegen diese schnell an Werth, während diejenigen, welche vorher die besteLage gehabt hatten, nun die ungünstigste einnahmen. Es stürmte und regnete heftig die ganze Xacht hindurch, und auch am Tag wurde das Wetter nicht besser. Der Wind wehte von Südost, war aber empfindlich kalt; der Seegang auf dem Fluss war so hoch, dass wir die Ueberfahrt nach dem Land
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c von Tschinkiang. n
auf einem Rettungsboot machen mussten. Diese vor Kentern sicheren Fahrzeuge wurden in grosser Zahl von den chinesischen Behörden bereit gehalten, um bei den nicht seltenen Unglücks- fällen schnell zu Hilfe zu kommen.
Damals war die fremde Gesellschaft in Tschinkiang noch klein; fast jedes ihrer Mitglieder war Konsul oder Vicekonsul. Die Ankunft der Dampfer, welche die in jener Zeit, als noch kein Telegraph Europa mit China verband, inhaltsarmen Schanghaier Zeitungen und frisches Brod als das Wichtigste brachten, war eine wohlthuende Unterbrechung in dem einförmigen Tageslauf. Bald nachher begann ein ausserordentlicher Aufschwung; die Zahl der Handelshäuser — damals drei — vermehrte sich schnell. Es kam aber bald zu einer Ueberfullung des Platzes, und da überdies nach einigen Jahren wieder ein Rückgang eintrat, mussten einige von ihnen den Ort wieder verlassen. Solche Wechsel haben sich in der Geschichte von Tschinkiang oft wiederholt.
Lage und Bedeutung von Tschinkiang.
Die Wichtigkeit von Tschinkiang, oder richtiger Tschönn- kiang-fu, für Handel und Verkehr des westlichen Schantung, und der Wettbewerb um dieses Gebiet, in den der Yangtsze- Hafen, wie bisher mit Tschifu, so weiterhin mit Kiautschou zu treten berufen ist, dürfte es rechtfertigen, auf seine Handelslage mit einigen Worten einzugehen.
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass der Yangtsz£ in seinem Unterlauf einen hohen nördlichen Bogen beschreibt, indem er erst nach Nordosten hinaufgeht, dann bei Nanking ostwärts umbiegt und von Tschinkiang aus sich nach Ostsüdost wendet. Er wird dazu veranlasst durch das Bestreben, das zu seiner Rechten sich ausbreitende Bergland zu umströmen, welches vielfach tiefe Ein- buchtungen bietet, aber keinen Durchgang gewährt, bis es endlich gegen Norden mit einer geradlinigen, zwischen den beiden ge- nannten Städten sich erstreckenden Front abschließt. Ihr folgt der Strom. Noch hat er das völlig offene Land nicht erreicht;
g Kap. I. Von Schanghai nach Schantong.
denn an seiner Mordseite erheben sich aus einer flachen Stufe die regelmässigen Kegel einiger ausgebrannter Vulkane, und im Nord- westen, gegenüber von Nanking, steigt ein Berg/.ug an, welcher den letzten Ausläufer des von Westen her sich erstreckenden Hwai-Gebirges bildet. Der grosse Strom wird dadurch bis Tschin- kiang, oder richtiger bis zu einem malerisch aus ihm sich er- hebenden Felsblock, der tempelgekrönten und historisch denk- würdigen Silberinsel«, im Zaum gehalten und kann sich nun erst seinen Lauf in dem von ihm selbst geschaffenen Alluvialland frei wählen. Nur einzelne halbverschüttete hügelige Inseln steigen noch aus diesem auf. Es haben in historischer Zeit Aenderungen stattgefunden; aber seit lange her datirt der jetzige Zustand, zu dessen Erhaltung vielfach künstliche Abdämmungen beigetragen haben. Es beginnt bei Tschinkiang das Mündungsgebiet des Yangtsze. Jetzt führt eine beinahe einheitliche, an Breite stetig wachsende Stromrinne nach dem Meer. Der direkte Abstand von diesem, ebenso wie von Schanghai, ist 240 km, die Länge des Schifffahrtsweges 280 km (150 Seemeilen); aber seitlich gehen an beiden Ufern schiffbare Kanäle ab, welche sich zu einem das ganze ehemalige Deltaland durchziehenden Netzwerk von grossen und kleinen Wasserstrassen verzweigen. Bis zur Zeit der Taiping- Rebellion, deren verheerende Züge sich 1853 hierher erstreckten, und deren Führer bis zu seiner Vernichtung durch Gordon im Jahre 1864 in Nanking residirte, war dieses Flachland an Dichte der Bevölkerung, Zahl und Bedeutung seiner Städte, Reichthum der Produkte und Leichtigkeit der Verkehrsverbindungen wahr- scheinlich von keinem gleich grossen Land der Erde übertroffen. Besonders gilt dies von dem im Süden des Stromlaufes gelegenen Theil. Ausser den Millionenstädten Sutschoufu und Hangtschoufu gab es 27 andere grosse Städte und sehr viele Marktflecken, Dörfer und Weiler. Dieses Land, dessen Bevölkerung zum grössten Theil getödtet und dessen Ortschaften meist vernichtet waren, hat die Gestalt eines gleichseitigen Dreiecks. An der Südwestecke liegt Hangtschoufu, an der Nordwestecke Tschinkiang und an der Ostecke Schanghai. Jeder von diesen Plätzen hat seine Bedeutung. Ich gehe hier auf diese so weit ein, als sie die Stellung der drei
Lage tob Hangtschoufu. n
Städte zu dem Grossen Kanal, als der Verbindungslinie mit Schan- tung, betrifft.
Hangtschoufu, die Hauptstadt der Provinz Tschekiang, ist günstig gelegen. \*on Westen mündet ein grosser, in Gebirgsland eingesenkter Strom, der Tsientangkiang, der bis in viele seiner letzten Ycrzu eigungen hinein schiffbar ist und leichte Verbindungen mit den Nachbarprovinzen gestattet. Seine Mündung erweitert sich im flachen Vorland wie ein Trichter. An dessen Nordseite liegt das Deltaland des Yangtsze\ und dort, wo ehemals einer der Hauptkanäle jene Trichtermündung erreichte, ist die Stadt gebaut. Man hat aber schon im siebenten Jahrhundert n. Chr. die Verbindung abgedämmt, und die YYaaren mussten fortan über den Damm nach dem Kanal getragen werden. Die Stromrhede, wie man den Anker- platz bezeichnen kann, ist wahrscheinlich früher für Seeschiffe mit massigem Tiefgang erreichbar gewesen. Doch diente später als Hafenplatz für die Stadt der 65 km östlich gelegene Küstenort Kanpu, wahrend jetzt das noch etwas weiter entfernte Tschapu von den Dschunken am meisten besucht wird. Beide Orte sind durch Kanäle, deren Mündungen nach dem Meer, gleich denen aller anderen Kanäle; abgedämmt sind, mit Hangtschoufu und allen Theilen des Deltalandes verbunden. Die Bewohner von Tschekiang hatten hier in ihrer eigenen Provinz gesicherte Zielpunkte der See- schifffahrt, welche zugleich Ausgangspunkte weit sich erstreckender Linien des Binnenverkehrs sein konnten.
Die Blüthe von Hangtschoufu ist von langer Dauer gewesen. Hier sicherten sich die Araber im neunten Jahrhundert Einlass. Ihre Niederlassung war in Kanpu, das sie Ghanfu nannten. Sie scheinen, nach ihren Berichten, einen lebhaften Handel dorthin getrieben zu haben; aber ihre Anwesenheit war den Bewohnern widerstrebend, und im Jahr 878 gab ein Rebell, Namens Hwang- tschau, Anlass zu ihrer Vertreibung, indem er sämmtliche Maulbeer- bäume verbrannte und dadurch dem Handel die Grundlage der Existenz entzog. Der jedenfalls übertriebene arabische Bericht sagt, dass bei der Einnahme von Kanpu, bei welcher nach der Sitte chinesischer Rebellionen sämmtliche Einwohner getödtet wurden, »120000 Mohamedaner, Juden, Christen und Magier, welche
IO Kap. 1. Von Schanghai nach Schanton
dort ihre Wohnsitze hatten . ihr Leben verloren. Die Araber halien sich hinfort gänzlich von den ungastlichen Gestaden von China zurückgezogen. Einen neuen Glanz erhielt Hangtschoufu,
als die Kaiser der Sung-Dynastie im Jahr 1127 ihre Residenz
hierher verlegten. Marco Polo spricht mit emphatischen Ausdrücken von der Grösse der Stadt, der Pracht und dem Reichthum des Kaiserlichen Palastes und der Schönheit der Umgebung. Er nennt die Stadt »Quinsai«, d. h. King-tsze\ oder soviel als »Residenz- stadt*. Ibn Batuta (um 1340) sagt, sie sei die grösste von allen Städten der Erde; man brauche drei Tage, um hindurchzukommen. 1 Jamals herrschten hier die Kaiser der Mongolen-Dynastie. Während ihrer Regierung verblasste der Stern der Stadt als eines Herrscher- sitzes; aber ihre Handelsbedeutung erhielt neuen Antrieb durch die Ausgestaltung des Grossen Kanals. Längst war die Stadt mit Tschinkiang durch einen besonders gepflegten breiten Kanal verbunden; nun wurde dieser die südlichste Strecke jenes kaiser- lichen Wasserweges. Hangtschoufu erhob sich dadurch zu einem Hauptausgangspunkt für die Versorgung des Nordens und hat immer eine der vornehmsten Stellen unter den Städten des Reiches behauptet.
Tschinkiang liegt dort, wo der eben genannte Verbindungs- weg mit Hangtschoufu als der westlichste Kanal des Deltalandes vom Yangtsze' südwärts abzweigt. Die Stelle liegt östlich von der auf erhöhtem Grund gebauten Stadt; man hat aber durch einen tiefen Einschnitt südlich von ihr eine Abzweigung des Kanals angelegt und dadurch diesen mit einem im Westen der Stadt gelegenen, geschützten Wasserbecken verbunden. Dieses ist das eigentliche, vom Yangtszö aus auch für Dschunken zugängliche Hafenbecken der Stadt. Auch Tschinkiang hat den Vortheil nicht allzu schwieriger Erreichbarkeit. Die Seeschifffahrt ist von jeher bestrebt gewesen, auf grossen Strömen die Waaren möglichst weit landeinwärts zu bringen, Pane Schranke ist, abgesehen von der Wassertiefe, durch die Grenze der Gezeitenbewegung gesetzt. In den Yangtsze" dringt ein kräftiger Eluthstrom ein und trägt die Dschunken bis Tschin- kiang. Ebenso können sie, wenn die P2bbe einsetzt, auf dem Strom, mit geringer Abhängigkeit vom Wind, nach dem Meer herabge-
Tschinkiang und der KaiserkanaL [ i
lassen werden. Eine genaue Kenntniss der sicli häufig verschie- benden Hanke im Strom ist zwar erforderlich; doch sind erfahrene Lootsen dafür stets vorhanden.
Gleich manchem almlich gelegenen grossen Verkehrsplatz in Europa, sollte daher Tschinkiang durch seine Lage bestimmt er- scheinen, als eigentlicher Zwischenplatz für den Wechsel von See- verkehr und Binnenverkehr, d. h. für das Löschen der Waaren von den Seeschiffen, ihre Aufstapelung und Wiedervcrladung auf Fluss- und Kanalbootc, oder umgekehrt, zu dienen. Bietet auch dei Strom keine günstige Gelegenheit zur Verankerung bei der Stadt selbst, so kann doch das seitlich gelegene Hafenbecken kleinen Seeschiffen Schutz gewähren, während für Dampfer ein gesicherter Anlegeplatz hinreicht.
Noch bedeutungsvoller erscheint die Stellung von Tschin- kiang, wenn man seine Lage zum Kaiserkanal betrachet. Unter Kublai-Khan wurde dessen Anlage vollendet. Als Marco Polo hier reiste, scheint sie noch nicht fertig gewesen zu sein. Er be- rührte Tschinkiang, das er Chinghianfu nennt, und sagt, dass es hier reiche Kaufleute gebe, auch erwähnt er einer nestorianischen Kirche; aber die Bedeutung des Ortes, als eines grossen Strom- hafens, können wir seinem Bericht nicht entnehmen. Die Reisenden des siebzehnten Jahrhunderts, wie Martin Martini und Neuhof, berichten, dass sehr viele Schiffe im Hafen, also jedenfalls dem geschützten Becken bei der Stadt, lagen, aber nur deshalb, weil sie südlich von hier, der sehr zahlreichen Kanalüberbrückungen wegen, ohne Masten fahren müssen, hier aber Masten und Segel aufsetzen, um nach dem Grossen Kanal zu gehen, über den keine Brücke gebaut werden darf. Ein grösserer direkter Verkehr von der See aus scheint also auch zu dieser Zeit nicht stattgefunden zu haben. Vermuthlich scheuten die Dschunken die Unbequem- lichkeit der Einfahrt und zogen die Löschung an Aussenplätzen vor, von denen aus die Waaren auf den Binnenkanälen nach Tschinkiang gelangen konnten. Ein anderer Nachtheil besteht darin, dass der Beginn des Grossen Kanals an dem der Stadt gegenüber liegenden Ufer um 6 Kilometer weiter stromaufwärts liegt Denn dies hatte zur Folge, dass auch der auf dem Yangtsze'
I 2 Kap, I. Von Schanghai Dach Schantung.
herabkommende Verkehr es vermied, l>is zur Stadt hinab zu gehen uml die Streike doppelt zurückzulegen. Er suchte vielmehr einen noch etwas weiter stromaufwärts gelegenen gesicherten Punkt und fand diesen bei der 25 km westlich von Tschinkiang jenseits des Nordufers gelegenen Stadt I-tschöng-hsien, von wo eine Binnen- kanalverbindung mit dem Kaiserkanal stattfindet.
Ein gefahrlicher Rivale erwuchs ausserdem für Tschinkiang in dem dritten Punkt tles Dreiecks: Schanghai. Diese Stadt wurde am äussersten Ende des Deltalandes, an einem als Wusung- fluss bekannten natürlichen Arm des Deltakanalsystems angelegt. Da der Fluthstrom dort stark eindringt, konnten Segelschiffe leicht hereinkommen. Für die Chinesen war der Ort einer der Eingangs- plätze in das Deltaland. Wie von Hangtschoufu, Kanpu und Tschapu, konnte von hier die Ladung der Seeschiffe auf Booten nach Tschin- kiang und dem Grossen Kanal befördert werden. Höhere Be- deutung erlangte die Stadt, nachdem sie durch England im Jahr 1842 für den Fremdhandel eröffnet war. Sie nahm einen mächtigen Aufschwung durch Errichtung der Dampfschifffahrt von hier auf dem Yangtsze hinauf bis Hankau. Die Stadt ist herangewachsen zu dem Emporium für das durch den grossen Strom beherrschte, ausgedehnte Handelsgebiet im Inneren von China, zu einem Mittel- punkt für den Küstenhandel und zu einem der bedeutendsten und zukunftsreichsten Verkehrsplätze aller Länder. In einer vergangenen Zeit aber, als Dampfer an Stelle von Segelschiffen über die Meere hierher zu kommen begannen, fragte es sich doch, ob nicht am Yangtsze, wie in den Fällen von London, Hamburg, Bremen, Baltimore, Kanton, ein weiter landeinwärts gelegener, zugleich den Grossen Kanal beherrschender Platz ein noch geeigneterer Ziel- punkt für die Seedampfer sein dürfte.
Grosse Hoffnungen knüpften sich daher an die Oeffnung von Tschinkiang für den Fremdhandel. Die Engländer hatten die Stadt 1842 eingenommen, erzwangen aber den Zulass des Handels erst 1858 durch den Vertrag von Tientsin. Die Stadt hatte inzwischen schwer gelitten. 1853 war sie von den Taipings eingenommen und halb zerstört, 1857 von den kaiserlichen Truppen zurückerobert und dabei die Bevölkerung grössten-
Schwankende Zustände von Tschinkiam,'. 13
theils niedergemacht worden. Es blieben von der Stadt selbst die äusseren Mauern, im Inneren mir Ruinen. Nach dem Ende der Taiping-Rebellion hat sie sich schnell erholt. Im östlichen Theil der von der Ringmauer umgebenen Fläche sollen zwar noch
jetzt ilie Ruinen vorwalten, aber der mittlere und besonders der westliche Theil wurden schnell aufgebaut, und eine weitläufige Vorstadt dehnt sich vor dem weltlichen Thor aus. Die Einwohner- zahl wird aber doch auf nur 150000 geschätzt.
Die auf den Fremdhandel gesetzten Hoffnungen haben sich nicht ganz erfüllt. Man erwartete, hier zum mindesten einen Knotenpunkt zu begründen, an dem sich vermittelst der Dampfschifffahrt die Güter für den Import und den Export der von dem Grossen Kanal beherrsch- ten Handelsgebiete von der See und vom mittleren Yangtsze" sammeln würden. Theile der Provinzen Kiangsu, Honan, Schantung, Schansi und Tschili sollten von hier versorgt werden. Aber eine selbst diesen bescheidenen Hoffnungen völlig entsprechende Entwickelung trat nur periodisch ein. Seit 1S51 hatten Aenderungen im Lauf des Gelben Flusses begonnen, welche Strecken des Kanals in Mitleidenschaft zogen. Dazu lähmte die Taiping-Rebellion jede Thätigkeit; und als diese beendigt war, hatten die Seedampfer einen grossen Theil des vorher durch das Innere von Süden nach Norden ge- richteten Verkehrs übernommen. Die Bedeutung des Grossen Kanals, als der Versorgungsader für Peking, war damit herab- gesunken. Man gewann aber doch wieder den Handel mit dem westlichen Schantung und den angrenzenden Theilen der Grossen Ebene. Ganz unwesentlich für Tschinkiang war das Deltaland im Süden des Yangtsze", welches, als es sich allmählich von den Schrecken der Rebellion erholte und wieder an Bevölkerungszahl zunahm, den Reichthum seiner Produkte wesentlich an Schanghai abgab. Wie schwankend die Zustände sind, ist ersichtlich aus den Zahlenwerthen des Gesammthandels. Von 100 Millionen Mark in 1882 fiel er auf 82 Millionen in 1886 und 48 Millionen in 1890. Dann stieg er auf 57 Millionen in 1894 und 90 Millionen in 1895, um im Jahr 1896 wieder auf 69 Millionen herabzugehen. Diese Zahlen stellen aber keineswegs die Bedeutung des Grossen Kanals als Handelsweges dar, sondern nur den Antheil, den Tschinkiang
i i Kap. I. Von Schanghai nach Schantang.
daran gehabt hat; <.-in anderer kommt Schanghai zu Gute, indem viele einbeimische Fahrzeuge aus der nördlichen Kanalstrasse durch das sudliche Kanalnetz direkt dorthin gehen.
In Zukunft wird vermuthlich in der Gegend des jetzigen Tschinkiang ein grosser Verkehrsplatz entstehen, aber nicht an der Stelle der heutigen Stadt, sondern am nördlichen Ufer des Stromes, ungefähr an der Mündung des Grossen Kanals. Denn hier wird der Ausgangspunkt der Eisenbahn sein, welche bestimmt i-t, auf dem Damm des Kanals angelegt zu werden und ebenso diesen zu schützen, wie ihn von einem Theil seines Verkehrs zu entlasten. Der Kanal selbst hat für Schantung eine so grosse Wichtigkeit, dass wir ihm eine eingehendere Betrachtung widmen müssen.
Der Grosse Kanal oder Kaiserkanal.
Oft ist der Grosse Kanal, unter dem wir hier nur die nördlich vom Yangtsze gelegene Strecke verstehen, als ein Wunderwerk ge- priesen worden, besonders in den Zeiten, als in Europa die Ingenieur- kunst tiefer als in China stand. Seit dem frühesten Alterthum hat man sich hier mit der Wasserbaukunst beschäftigt. Einheimische Kommentatoren, und mit ihnen viele europäische Gelehrte, sind zwar in ihrer Erklärung der frühesten Aufzeichnungen, welche auf das 22ste bis 23ste Jahrhundert vor Chr. zurückführen, viel zu weit gegangen, indem sie dem grossen Yü, der als Minister unter Kaiser Vau ein ungewöhnliches Verwaltungsgenie war und später selbst zum Kaiser gewählt wurde, hydraulische Arbeiten von so übermenschlicher Grossartigkeit zuschrieben, dass alle Thaten des Herkules dagegen Kinderspiel sein würden. Aber auch wenn man sie auf das zulässige Maass eines Beginnes der Eindämmung überschwemmender Flüsse zurückführt, bleiben noch genug grosse Leistungen in den frühen geschichtlichen Zeiten bestehen. Die Anlage des Grossen Kanals fällt in eine relativ späte Zeit. Es wird erzählt, dass Kaiser Yangti (605 — 617) von der Sui-Dynastie den Hwangho mit dem Yangtsze" durch einen Kanal verbinden Hess, um von seiner Residenz Loyang aus eine Fahrt dorthin
Anlage «les Kaiserkanals. I r
auszufuhren; auch wird von dem grossen Aufwand bei dieser Expedition berichtet. Die Wasserstrasse, welche wahrscheinlich nur die südlichste Strecke des Grossen Kanals umfasst, ist nachher zuweilen wieder aufgebessert worden, /.. B. als die tungusische Liau-Dynastie (927 — 1125) über einen Theil des nordöstlichen China herrschte. Aber die Errichtung des einheitlichen Kanals in >einer ganzen Ausdehnung wird erst den Kaisern der mon- golischen Yuen-1 hnastie zugeschrieben, welche von 1280 — 1368 regierte, insbesondere ihrem wahrhaft grossen Begründer Kublai- Khan (1280 — 1295), der, in Anbetracht seiner Herstammung aus den innerasiatischen Steppen, eine überraschende Befähigung zur Verwaltung eines grossen Kulturstaates an den Tag gelegt hat. Die Residenz, deren Lage in den vorangegangenen Dynastien oft geschwankt hatte, wurde nach dem Norden verlegt, und dort die Stadt Tschungtu, das heutige Peking (d. h. die Nordresidenz, im < iegensatz zu Nanking, der südlichen), nach grossartigem Plan gegründet. Schon früher waren die reichen Produkte des Südens nach dem minder ergiebigen Norden geführt worden. Sie kamen leicht bis zum unteren YangtszS; theils konnte man sie auf dem Tsientangkiang nach Hangtschoufu, oder zur See nach Kanpu, und von beiden Plätzen auf Binnenwasserwegen weiter bringen; theils kamen sie auf den südlichen Zuflüssen des Yangtsze herab und folgten dessen Lauf weiter bis in die Gegend der Mündung. Wie die weiteren Verbindungen nach Norden hin waren, lässt sich nicht deutlich erkennen. Einerseits mögen streckenweise Binnenwasserstrassen und Landwege gewechselt haben, andererseits aber gingen die YVaaren noch zu Beginn der mongolischen Herr- schaft wesentlich auf dem Seeweg von den Plätzen an der Süd- küste aus nach Norden. Der erstere Transport war kostspielig und umständlich, der letztere gefährlich und in manchen Jahres- zeiten überhaupt nicht ausführbar. Verluste waren häufig, und mancher Taifun mag eine Reisflotte verschlungen haben. Jetzt stieg durch die Anlage von Peking das Bedürfniss der Zufuhr, und es weckte den Plan einer einheitlichen und gesicherten YVasser- verbindung. Einige schiffbare Flüsse konnte man von Peking aus beiHitzen, nämlich den Paihö und den bei Tientsin in diesen ein-
im Kap. I. Von Schanghai nach Schantung.
mündenden Weihö. Aber um diese mit dem Yangtsze* zu ver- binden, musste man einen Kanal von Norden nach Süden, also quer gegen die Richtung des allgemeinen Wasserabflusses, darunter einiger gewaltiger Ströme, wie Hwanghö und Hwai, anlegen. In der kühnen Begegnung dieser Schwierigkeiten liegt die Gross- artigkeit des Plans. Das leichteste Stuck war südlich vom Yangtsze* gewesen, wo man nur bestehende Kanäle in der Strecke zwischen Tschinkiang und I [angtschoufu einheitlich auszugestalten hatte. 1 >ies war schon früh geschehen.
Der Gelbe Fluss hatte damals den Lauf eingeschlagen, welchen alle unsere alteren Karten zeigen, und den er bis 1852 inne- behalten hat, d. h. er wandte sich von Kaiföngfu aus nach Südost gegen die Mündung des Hwai hin, dessen letzten Unterlauf er für seine eigenen Wassermassen benutzte. Es galt, ihn mittelst Ein- dämmung festzubannen und den Kanal quer über ihn hinweg anzulegen. Er theilt diesen in zwei Strecken.
Die südliche Strecke beginnt am Nordufer des Yangtsz£, gegenüber von Tschinkiang, wo im alluvialen Flachland alte Kanäle bis Yangtschoufu bestanden zu haben scheinen. Nörd- lich von dieser Stadt ist eine Bodenschwelle, die aus Löss besteht und eine ganz geringe Höhe besitzt, aber doch eine grosse Be- deutung hat als die Wasserscheide des nahen Yangtsze gegen das ausgedehnte vereinigte Gebiet des Hwai und Hwanghö. Die Schwelle konnte leicht durchschnitten werden. Nördlich von ihr beginnt ein endloser, nur wenig über das Meeresniveau erhabener, sanft nach Westen ansteigender Flachboden, auf dem von dieser Richtung her Flüsse herabkommen, während von Osten her die Meeresfluth in die zahllosen, dort eingeschnittenen Kanäle hinauf- dringt. Es wurde ein breiter Damm von Süd nach Nord quer hindurchgelegt bis zu dem 140 km entfernten Damm des Hwanghö. Dadurch wurden die von Westen kommenden Gewässer zu einem grossen See gestaut, dessen Abfluss durch Schleusen im Damm geregelt wurde. Der Damm hat in seinen tieferen Theilen feste Einfassungen, die aus grossen, von weither gebrachten Kalkstein- quadern aufgemauert sind; im Uebrigen besteht er aus auf- geschütteter Erde. Die Schiffe konnten nun auf der Seefläche
Anlage dea KaiserkaiudB. \~
fahren, und das geschah auch im Anfang. Wahrscheinlich war dies der Zustand in den Zeiten der Dynastien der Sui und Liau. Alier bei Wind waren die Schiffe gefährdet, und der Damm hatte seiner Starke einen zu hohen Druck auszuhalten. Daher wurde nachher an der Westseite ein /.weiter, paralleler Damm ge- baut, so da>> nun ein vollkommener Kanal hergestellt war. Dieser Damm war weniger breit, aber wurde noch solider aus Quader- steinen aufgebaut. Auch in ihm wurden Schleusen angelegt, so
im Kanal eine Reguli rung von Zufluss und Abfluss stattfinden konnte. Es war somit in ihm eine Wasserbewegung vorhanden, besonders an den Stellen des Zuflusses und Abflusses. Der Unter- schied des Wasserniveaus des westlichen Sees und des frei liegen- den Flachlandes im Osten war nicht unbeträchtlich.
Grösser als hier, war die Schwierigkeit weiter nordwärts. Durch ein System von Schleusen kamen die Schiffe in den damaligen I Iw angin > und mussten gegen dessen starke Strömung eine erhebliche Strecke aufwärts gezogen werden bis Sutsien-hsien. Ebenso wurden sie an dieser Stelle durch Schleusen nordwärts hinabgelassen nach der zweiten Strecke des Kanals. Von dort ist es über 400 km in gerader Linie bis zur Stadt Lintsin-hsien, wo der vorgenannte
Fluss erreicht wird. Diese Linie würde die westlichen Aus- laufer des Berglandes von Schantung durchschneiden. Um sie zu umgehen, muss der Kanal eine flache westliche Krümmung machen; aber er berührt die Gebirgsausläufer nahe genug, um doch all- mählich ansteigen zu müssen und einen Scheitelpunkt nahe bei deren westlichstem Vorsprung zu erreichen. Von dort senkt er sich nordwärts. Er nimmt den ganzen westwärts gerichteten Ab-
des Berglandes auf, und es galt, diesen scharfsinnig zu be- nutzen, um den Kanal in allen Theilen befahrbar zu erhalten. Am sinnreichsten ist dies an der Scheitelfläche selbst erreicht. Gerade hier kommt ein abgeleiteter Arm des wasserreichen und stark ^tmmenden Wönn-hö aus dem östlichen Gebirge herab und ergiesst sich rechtwinklig in den Kanal. Um dem Anprall an dessen West- seite zu begegnen, wurde hier eine kräftige Brustwehr aus Stein gebaut und das Gefäll des Kanals so angelegt, dass das Wasser des Flusses sich in eine nordliche und eine südliche Strömung
v. Richthofcn, Schantung. -
i g K:i|>. I. Von Schanghai nach Schontung.
theilt. Die Schiffe haben an dieser Stelle einige Schwierigkeit, aber die Wasservertheilung ist vollkommen. Das Gefall nach beiden Seiten hin wird durch Querschleusen, die Wasserm durch Längsschleusen in den seitlichen Dämmen geregelt; denn wahrend der Kanal auf der Scheitelfläche ein ausgehobener (haben ist, ist er an anderen Strecken im tiefliegenden Boden kastenartig aufgesetzt, so dass sein Wasser hoher steht, als das Land auf beiden Seiten oder, stellenweise, auf einer Seite. Auch weiterhin wechselt das Niveau vielfach. Die Holländische Gesandtschaft von 1655, deren Bericht Neuhof schrieb, zählte über sechzig Quer- schleusen, Andere haben die Zahl nicht angegeben.
In allen Theilen hat der Kanal eine hinreichende Breite, dass geräumige Fahrzeuge sich bequem nach beiden Richtungen be- wegen können. Die Fortbewegung geschieht theils durch Trecken an der Leine, theils, bei günstigem Wind, durch Segeln. Um Letzteres zu ermöglichen, sind Brücken über den Kanal untersagt. An den Querschleusen springen von beiden Seiten massiv gebaute Bastionen hervor und lassen nur Raum für eine Schiffsbreite. Dort sammeln sich die Fahrzeuge und werden in Gruppen durch- gelassen. An den meisten dieser Stellen bestehen Uebergänge für Fusssfänger, die beim OefThen der Schleusen verschwinden. Schwierigkeit entsteht in manchen Strecken, in verschiedenem Grad je nach den Wasserverhältnissen, durch die Strömung. Wo sie so heftig ist, dass der Widerstand durch Trecken nicht über- wunden werden kann, geschieht das Anziehen der Leine mittelst eines Haspels.
Es leuchtet ein, dass der Kaiserkanal von China, mehr als vielleicht ein anderer grösserer Kanal selbst in der heutigen Zeit, ein künstlicher Organismus ist. So lange Alles gut funktionirt, erfüllt er seine Zwecke vortrefflich. Die Fahrt ist langsam; aber Zeit spielt in diesem Land keine Rolle. Die Kosten sind nicht er- heblich, weil die Arbeit der Schiffsleute billig ist. Es kommen allerdings dazu Abgaben verschiedener Art. Bei jeder Schleuse wird ein kleiner Tribut gefordert. Die Hauptabgaben aber werden in Hwainganfu erhoben. Hier residirte früher, mit dem Rang eines Vicekönigs, der Kurator des Kaiserlichen Proviantamtes.
Bedeutung <les K.i> jq
Martin Martini erzählt, dass dieser hohe Beamte den sieben süd- hen Provii^en vorgesetzt sei und das Recht habe, die Natural- abgaben aus ihnen einzuziehen, welche besonders aus allerlei Lebensmitteln bestanden. Diese wurden wesentlich auf kaiser- lichen Schiiten nach Norden gebracht Dazu kamen zahllose Privatschiffe. Der Beamte hatte unter sich zwei Zollämter, eines für die Zolle von Waaren, das andere für die Kanalabgaben, die nach der Grösse und dem Laderaum der Schiffe bemessen wurden. er Betrag wurde für die Erhaltung des Kanals und der Schleusen verwendet. Heute dürften noch ähnliche Einrichtungen bestehen. So gut der Kanal seinen Zwecken entspricht, wenn Alles in Ordnung ist, so verhängnissvoll ist eine Unterbrechung de- Ver- kehrs, wie sie durch ausserordentlichen Wasserandrang, oder durch Nachlässigkeit der Verwaltungsorgane eintreten, oder durch Aende- rung im Lauf des Gelben Elusses verursacht werden kann. Auf diese komme ich später zurück. Man hat den Damm, welcher an der der Speisungsseite gegenüberliegenden Unterseite liegt, also im sudlichen Theil den östlichen, im nördlichen Theil den west- lichen, stetig verbreitert und besonders die Stellen, wo sich die Auslassschleusen befinden, verstärkt, aber damit gelegentliche Durchbrüche doch nicht vermeiden können.
Für Schantung kommt nicht sowohl der Kanal als Ganzes, als vielmehr seine Bedeutung für die angrenzenden Landestheile in Betracht. Er hat für diese entschieden Vortheile gehabt. Seit alten Zeiten hat man die Flüsse befahren, die mit ihm in Beziehung stehen. Der Hwai, der ein äusserst entwickeltes Xetz von Zu- flüssen hat, ist, nebst allen diesen, bis hoch hinauf schiffbar, wenn auch in einer gewissen, diese Flüsse quer durchziehenden Linie, Unterbrechung durch Stromstufen stattfinden soll. Früher gelangte man auf dem Hwai nach dem von vielen Kanälen durchschnittenen Mündungsgebiet, und wahrscheinlich hat man in seinem Mittel- gebiet auch künstliche Kanäle gehabt. Auch der Gelbe Fluss ist, trotz grosser Schwierigkeiten, für die Schifffahrt benutzt worden und hatte sein eigenes Xetz von Wasserstrassen. Aehnliches mag für die Unterläufe der Ströme des westlichen Schantung gegolten haben. Aber man kam über einen örtlichen Verkehr nicht hinaus.
iq i. I. Von Schanghai nach Schantung.
Für solchen dienten /. B. die für das alte China eigentümlichen schwimmenden Waarenlager, die auf riesigen Flössen von Rohr- bündeln errichtet waren. Es befanden sieh darauf Wohnungen für mehrere Familien, dazu Gartenanlagen, in denen Gemüse ge- zogen wurden, ein Hühnerhof, Sehaaren von Enten u. s. \v. Sic wurden langsam von einem Ort zum anderen bewegt. Auch heute bestellen sie noch, doch sind sie jetzt weit kleiner. Erst durch den Grossen Kanal wurden für allen Kleinverkehr Sammelstellen geschaffen, an denen er sich in zielbewussten Fernverkehr ver- wandeln konnte. Die Produkte des Südens konnten durch die neue Arterie vom Yangtsze" hinaufkommen und von einzelnen Marktplätzen aus weiter verbreitet werden.
Ein anderer Vortheil für die angrenzenden Landestheile be- stand darin, dass viele von ihnen das Wasser zur Berieselung aus dem Kanal erhielten. Die durch ihn geschaffenen Staubecken sicherten die Möglichkeit einer Yertheilung auch in Zeiten niedrigen Wassers. Aber damit war ein Xachtheil verbunden. Denn wenn im Kanal Störungen eintraten, konnten die Rieselwasser ganz aus- bleiben, und wenn er seinen Damm durchbrach, konnte der Zu- fluss überreich werden und das Land überfluthen. Beides hat vielfach stattgefunden.
So dient der Kaiserkanal grossen Zwecken; aber er ist keine zuverlässige Wasserstrasse. Wir haben schon gesehen, wie die Hoffnungen in Tschinkiang auf ihn gerichtet waren. Viel Kapital wurde dort angelegt, wenn die Aussichten günstig schienen; aber schnell kam ein Rückschlag, wenn der Kanal versagte, und grosse Schädigungen konnten geschehen, ehe ein neuer Auf- schwung eintrat.
Noch ist des Dienstes des Kanals zum Reisen zu gedenken. Die meisten Reisenden, die in China grosse Strecken zurücklegen, sind Kaufleute, Kandidaten für Staatsprüfungen und Mandarine. Letztere werden von einer Provinz zur anderen, bis in die ent- ferntesten, versetzt und haben in den höheren Stellungen vor Antritt des neuen Amtes die Verpflichtung, sich in Peking zu melden. Das bedingt oft eine weite Fahrt; z. B. wenn ein Beamter die Reise von Kanton bis zur nördlichen Hauptstadt zu machen
1 >cr ECaiserkana] .il> Reiseweg. -> I
bat Die Seeschiffahrt war beschwerlich und nicht ohne Gefahr; I )aher wurde die Fahrt auf den Binnenstrassen immer vorgezogen, entsprach der Neigung zu langsamer Fortbewegung und langer ezeit. Nach den Muhen der amtlichen Thätigkeit hatte der hohe Beamte hier eine Zeit der Ruhe. Für diese sind alle ge- bräuchlichen Reisemitte] eingerichtet Wochen und Monate konnten
hlafen werden. Das Flussboot insbesondere bietet dem Reisen- den alle Bequemlichkeiten; hier kann er dem Opiumgenuss in Ruhe obliegen. Für diesen ist auch auf den zur Aufnahme vieler igiere bestimmten Fahrzeugen gut gesorgt. Das Bedürfniss, wahrend der Fahrt auf dem Land neben dem Kanal zu wandern, kennt der Chinese nicht; im Gegentheil würde er im Zufussgehen eine Beeinträchtigung seiner Würde erblicken.
Anders der Europäer. Auch ihm kann die Bootfahrt auf dem Grossen Kanal Annehmlichkeiten bieten. Er kann sich mit aller Bequemlichkeit umgeben und einrichten; aber er freut sich, das ruhig dahingleitende Schiff zuweilen verlassen zu können, um sich bei der Wanderung auf dem Damm an dem Anblick der Landschaft zu erfreuen. Der Hofmeister der vorerwähnten Nieder- ländischen Gesandtschaft, Johann Neuhof, sagt von dem Kanal in seiner oft überschw anglichen Weise: „Es lasset sich warlich sothane Fahrt auf beyden Seiten dermassen lustig und herrlich sehen, dass sie mit höchstem Fuge und Recht ohne einige Widerrede die Keyserliche Fahrt heissen mag. Denn sie ist nicht allein zu beyden Seiten des L'fcrs mit schönen, wohlgeordneten Zugwegen versehen, sondern auch dieselben hinlangs mit mancherley grünen Bäumen so zierlich und wunderkünstlich bepflantzet, dass es fast mit Worten nicht auszusprechen, noch mit der Feder zu beschreiben ist. Auf ihrer Ost- und Westseiten (denn sie sich von Süden nach Norden erstrecket) sähe man überaus fruchtbare Accker, viehreiche Wiesen und lustige Walder liegen; und muss ich bekennen, dass ich nirgends in gantz Sina eine lustigere und anmuhtigere Gegend gesehen, als diese Keyserliche Fahrt und dero umbliegende Landereien. Im Fahren konnte man die Augen weiden mit volck- reichen Dörffern und Flecken, wie auch mit Lusthöfen und Gärten, welche so künst- und köstlich zugerichtet, dass sich> ansehen lie».
Kap. 1. Von Schanghai nach Schantnng.
als ob tlio Natur und Kunst in die Wette den Anschauer belustigen, und jedwede der andern abgewinnen wollte."
Aehnlich, wenn auch ungleich nüchterner im Ausdruck, hat Staunton die Eindrücke der englischen Gesandtschaft unter Lord Macartney geschildert.
Fahrt auf dem Grossen Kanal.
Ich hatte, um nach Schantung zu kommen, nur die erste Strecke des Grossen Kanals, bis zum alten Lauf des Gelben Flusses, zurück- zulegen. Ein Herr in Tschinkiang miethete für mich ein grosses, bequemes Mandarinboot, wofür der sehr geringe Preis von I Tael (damals 6 Mark) täglich verlangt wurde. Die Bemannung wurde auf zehn Köpfe angegeben; allerdings stellte es sich später heraus, dass nur fünf arbeitsfähige Menschen an Bord waren , den Bootführer oder »Lauda«, einen inveterirten und entkräfteten Opiumraucher, eingerechnet. Die Zehnzahl wurde durch seine Frau und vier Kinder vollgemacht. Die Entfernung unseres Zielpunktes Tsing- kiangpu beträgt nur 160 km und sollte in drei Tagen zurück- gelegt werden. Ich war daher verwundert, als eine Voraus- bezahlung von 5 Taels verlangt wurde. Die Auspicien für eine schnelle Fortbewegung waren offenbar nicht günstig. Auch kamen wir noch nicht fort, da es wegen der hohen Wellen unmöglich war, das nur für den Kanal eingerichtete, flach gebaute Boot über den Fluss hinüber nach der Mündung des Kanals zu bringen. Es lag in dem sicheren, vom Fluss getrennten Hafen mit vielen anderen Schiffen. Ausser einigen von der See herkommenden Dschunken giebt es hier stets zweierlei Fahrzeuge kleinerer Art, nämlich einerseits scharf und tief gebaute Segelboote mit ein- facher Mattenbedeckung, die auf dem grossen Strom jedem Wetter trotzen, aber, wenn sie sonst hinreichend gross sind, zu tief gehen, um auf dem Grossen Kanal verwendbar zu sein, andererseits flach und breit gebaute Kanalboote von sehr geringem Tiefgang. Diese dienen grösstentheils für die Frachtbeförderung, während andere einen für die Aufnahme von Passagieren eingerichteten schweren
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Fahrt auf dem Kaiserkanal.
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Oberbau tragen. I 1 ese sind bei Seegang leicht zum Kentern ge- neigt und nur zum Segeln vor dem Wind mit sehr kleinem Segel
not. Zu dieser Art von Fahrzeugen gehörte mein Boot. Es hatte mehrere Zimmerabtheilungen mit Reihen von Glasfenstern in zierlichem Schnitzwerk. In den Zimmern gab es Schlafstellen, Tische, Stuhle und Glasmalereien. Die trennenden Zwischenwände konnten herausgenommen und dadurch grössere Räume hergestellt werden. Kur/, es war für alle Bequemlichkeiten und Luxusein- richtungen gesorgt, die den verwöhntesten Mandarin zufrieden zu stellen geeignet sein konnten. Wie gewöhnlich an Bord, herrschte die grösste Sauberkeit; denn so wenig dies in der Regel für Woh- nungen. Strassen und Kleidung bei >.\cn Chinesen gilt, so ausser- ordentlich ist die Reinlichkeit auf ihren Booten. Alles ist lackirt und polirt, aussen und innen, und es wird fleissig gewaschen. Der Grund mag wohl in der Seltenheit und Theuerkeit des Schiffbau- holzes liegen, wodurch es erwünscht wird, die Fahrzeuge mög- lichst lange zu erhalten. In der That tragen sie grossentheils Zeichen hohen Alters und vererben sich durch mehrere Gene- rationen. Wer die Reise schnell machen will, dem ist anzurathen, sich mit geringerer Bequemlichkeit zu begnügen und ein kleineres Segelboot zu nehmen; wenigstens musste ich erfahren, dass der Komfort eines grossen Bootes zuweilen mit bedeutendem Zeit- verlust erkauft wird.
In früher .Morgenstunde am 17. März fuhren wir ab. Es war ein kalter, unfreundlicher Tag, der Himmel einförmig grau, es fiel ein feiner Regen bei leichtem Ostwind. Um die Mündung des Grossen Kanals zu erreichen, fährt man erst quer über den Fluss und folgt dann dem linken Ufer stromaufwärts. Zwei Segel- schiffe wurden meinem schwerfälligen Fahrzeug vorgespannt. Bei der gunstigen Brise brachten sie es schnell hinüber. Schon um X Uhr waren wir in Kwatschou an der Mündung des Kanals an- gelangt. Die Schleppschiffe wurden abgeworfen und gingen weiter stromaufwärts. Es lagen hier viele Schiffe, unter ihnen Dschunken von Ningpo und anderen Orten. Die Fahrt wurde an diesem
noch bis Yangtschoufu fortgesetzt. Ein leichter Fluthstrom brachte das Boot herauf; mit ihm erreichen auch Dschunken den
-.1 Kap. I. Von S< hanghal naco Schantong.
( »rt. da für sie die Tiefe des Kanals noch hinreicht. Weiterhin verringert sie sich; es findet daher ein Umladen hier oder in Kwatschou statt. Salz und Reis sind die Hauptgegenstände der Fracht Ersteres wird aus Meerwasser in der Ebene östlich vom Kanal gewonnen und muss hierher gebracht werden, wo der Ver- kauf durch Vermittelung einiger grosser Handelshäuser geschieht. In einer der beiden Städte wird auch die Salzsteuer erhoben. Der damit betraute, in Yangtschoufu residirende Mandarin hat eine eintragliche, viel beneidete Stellung, denn hier ist eine der Haupt- salzstationen im Reich. Ihre Einkünfte, welche zwischen 2 und 3 Millionen Taels jährlich betragen, bilden einen wesentlichen Theil der Zinsgarantie für die englisch-deutsche Anleihe vom März 1898. Der Reis wird von Seeschiffen aus den südlichen Küstenhäfen und von Flussschiffen den Yangtszö hinab hierher gebracht. Beim Umladen soll sein Gewicht zunehmen. Ich hatte vorher einen Marmorsteinbruch westlich von Tschinkiang besucht, und als ich nach der Art der Verwendung der unregelmässigen Stücke, in denen der schneeweisse Marmor gebrochen wird, fragte, erhielt ich die Antwort, er diene dazu, dem nach Peking bestimmten Reis weisse Färbung und Gewicht zu geben.
Lang hin am Kanal zieht die hohe Backsteinmauer der grossen Stadt Yangtschoufu, die einen hohen Ruf wegen des Reichthums ihrer Kaufleute und ihres schwelgerischen Wohllebens geniesst. Besonders wird die Schönheit der Frauen gerühmt. Auch die Holländer waren davon durchdrungen: Xeuhof schreibt: »Ich muss bekennen, dass ich nirgend in gantz Sina so schönes, so leutseliges, so liebliches Weibesvolck, als an diesem Orte, ge- sehen, so dass ich mit keiner Feder beschreiben kann die zier- liche Leibespositür, die wunderartigen Sitten, die anmuhtigen und hertzeinnehmenden Geberden, womit das Frauenzimmer dieser Stadt alle Weiber des gantzen Reiches weit übertrifft. Denn beydes, Jungfrauen und alte Matronen alhie überaus kleine Füsse haben, welches vor eine sonderbahre Schönheit von den Sinesern gehalten wird; darzu ein gar zartes Leibichen, subtile und behende Gliederlein, schwarzbraune funkelnde Aeuglein; und sind, kurtz zu reden, von der Häuptscheitel bis auf die Fusssohlen mit so
ÜTangtschoufu. 2 5
schöner Gestalt begäbet, dass sie billig die Krone und Sonne
.-iller leiblichen und weiblichen Schönheit mögen genannt werden.«
Der Name der Stadt erinnert an uralte Zeit. Unter Kaiser
Y;ui und in den nachfolgenden Jahrhunderten gehörte das gesammte,
damals morastige Flachland bis zum Unterlauf des Yangtsze" zur
Provinz Yang. Ihr Name besteht fort in dem Ort und dem dazu
gehörigen Verwaltungsbezirk, ebenso in der Bezeichnung des
en Stromes, welche in Europa gebräuchlich geworden ist.
Die Chinesen nennen ihn den Kiang, d. i. /der Strom ; dann,
zum Unterschied von anderen Flüssen, den Ta-Kiang oder
(iros^en Strom.« Im Mündungsgebiet kommt der Name Yang-
kiang, als Fluss der Provinz Yang , wenn auch selten, vor. Er mag den Missionaren bezeichnender erschienen sein als die triviale Benennung »der Grosse Strom«. So wurde er in Europa eingeführt, wahrend ihn in China nur Wenige kennen. In Yang- tschoufu bekleidete Marco Polo, wie er selbst erzählt, drei Jahre lang ein Verwaltungsamt; dennoch weiss er von der Stadt nichts Sonderliches zu erzählen. Erst Martin Martini begeistert sich für sie und giebt ihr hohes Lob wegen ihrer stattlichen Bauten, ihrer 24 steinernen Brücken, die in mehreren Bogen über Kanäle führen, und, ähnlich wie Neuhof, wegen ihrer schönen Frauen.
Die weitere Fahrt nahm noch eine Woche in Anspruch, da stetig Gegenwind wehte. Die breit ausgelegten Mandarinboote mit ihrem Oberbau bieten dem Wind eine grosse Fläche und werden in der Fahrt stark aufgehalten, wenn er von vorn kommt. Drei Mann zogen das Boot an der Leine, zwei andere stiessen mit Bambusstöcken. Hier und da mussten mehr Leute vorgespannt werden, z.B. bei dem grossen Marktflecken Schaupo, wo der Kanal eine östliche Krümmung beschreibt. Die Strömung war hier gegen fünf Knoten (9 km in der Stunde). Der konkave östliche Damm, der eine Reihe stattlicher Häuser trägt, ist durch eine aus starken Quadern fast bis zur Höhe von 4 Meter über dem Wasser aufgebaute Front vor Zerstörung durch den Strom
nützt worden. Ausserhalb des Ortes war die dorthin mit geringerer Stärke fortsetzende Schutzwehr mehrfach beschädigt, und zahlreiche Arbeiter waren mit der Herstellung beschäftigt.
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Kap. I. Von Schanghai nach Schantong.
Es folgt jetzt die vorgenannte Strecke, wo zuerst durch den östlichen Damm der ganze westliche Abflugs in der Länge von 60 bis 70 km zu einem grossen See abgedämmt und später der westliche Damm aufgeführt wurde, um tue Schilffahrt zu sichern und den Kanal zu rcgulircn. Das Wasser konnte nun aus dem Stau-Becken in erforderlicher Menge durch Schleusen zugelassen und ostwärts durch andere Schleusen abgeführt werden. Jetzt funktionirte die Einrichtung nicht. Man hatte bei den Aus- besserungsarbeiten den östlichen Damm bevorzugt. Der westliche, dessen Quaderbau die Bewunderung aller Berichterstatter hervor- gerufen hat, war mehr und mehr schadhaft geworden; das Wasser drang frei durch die Breschen und konnte im Kanal nicht mehr geregelt werden, da es in gleichem Niveau mit dem See stand. Dadurch waren für den östlichen Damm neue Gefahren erwachsen, von denen die Stärke des Stromes bei Schaupo ein Beispiel giebt. Sie war dort nach einem Ausfluss zur östlichen Ebene hin ge- richtet; gelang es dem Wasser, sich an dieser Stelle eine Bresche zu graben, so musste sich der ganze Stausee verheerend entleeren. Wie schon bemerkt, ist hier der Kanal nicht in den Boden ein- geschnitten, sondern ihm kastenartig aufgesetzt; daher würde gleichzeitig der ganze Kanal bis zum Boden abmessen. Angesichts der drohenden Gefahr hatte die Regierung endlich vor Kurzem beschlossen, mit grossem Kostenaufwand den westlichen Damm von Grund aus neu und in grösserer Höhe als früher herzurichten, sowie gleichzeitig den Kanal, der durch Sedimentbildung gelitten hatte, zu vertiefen. Tausende von Arbeitern waren am Werk, und ihre Emsigkeit bot ein interessantes, oft fesselndes Bild. Theils wurden die Milizen der Provinz dazu verwandt, theils Landleute, welche die Arbeit streckenweise im Geding übernahmen und daher durch schnelle Ausführung einen Vortheil hatten. Das Material wurde, soweit nicht der ausgebaggerte Boden des Kanals es hergab, von Inseln im See herbeigeführt.
Eine stete Erquickung bot der Blick auf die im schönsten Frühlingsgrün prangenden Felder der östlichen Ebene. Die kleine Parzellirung des Landes und die Verschiedenheit der auf jedem kleinen Feld befindlichen Saaten bedingen das Bild eines Gartens.
Das Land am Kaiserkanal.
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Weithin überschaut man die Ebene. Zahlreiche Dörfer sind darin zerstreut, und scharf zeichnen sicli die sich rechtwinklig kreuzenden geraden Linien des verzweigten Kanalsystems ab, auf welchem dort fast aller Verkehr stattfindet. Wenn ich aber den Landleuten meine Freude über das blühende Land aussprach, da sagten sie wehmüthig, dass sie sich niemals dieses Anblickes wirklich erfreuen konnten, da ihre Hoffnungen nur zu häufig ge- tauscht wurden. Denn wenn das Wasser des Kauyu-Sccs steige, dann überfliesse es häufig den östlichen Lamm und setze die ganze Ebene unter Wasser; dann würden ihre Felder und Saaten zerstört, und viele .Menschen kamen ums Leben. In der That habe ich nachher noch viel von den Leiden der Bewohner dieser anscheinend so gesegneten Gegend erfahren. Wenn man davon keine Kunde hat, ist man verwundert über das Elend des Volkes. Die zahllosen kleinen Dörfer und Weiler, die man überblickt, sind überaus ärmlich, die Häuser nur aus Lehm und Rohr gebaut. Die Bewohner sind harmlos, furchtsam, in Lumpen gekleidet. Und doch könnte ihnen der Boden leicht zwei gesicherte Ernten geben. Es giebt keine Grossgrundbesitzer, welche in manchen anderen Ländern den grössten und besten Theil des Bodens eignen würden; es giebt keine Festtage, welche die Arbeitszeit einschränken, nicht einmal Sonntage, sondern das ganze Jahr besteht aus Arbeits- tagen; die Leute betrinken sich nicht; sie haben keine Zerstreuung durch Wirthshäuser und können ihre ganze Energie auf die Arbeit legen; sie haben auch nur massige Abgaben zu zahlen und be- sitzen in den Wasserwegen billige und grosse Verkehrsstrassen, mit denen ihre Dörfer durch die den Einzelverkehr vermittelnden kleinen Kanäle verbunden sind. Woher kommt also das Elend? Die Uebervölkerung hat sicher viel damit zu thun, aber sie kann nicht der einzige Grund sein. Auch dem Opium darf ein so allgemeiner Einfluss nicht zugeschrieben werden, zumal hier die Landbevölkerung dem Genuss desselben noch wenig ergeben ist. In den Ebenen des Ganges und in ähnlichen Gebieten auf Java herrscht auch Armuth. Dort aber ist das Klima entnervend, der Mensch ist eines geringeren Arbeitsbetrages fähig, und es giebt grosse Landeigenthümer. Im chinesischen Flachland sind im Verhältniss
Kap. I. Von Schanghai nach Schantnng.
zu dort die Leute günstig gestellt. Es scheint, dass die Haupt- gründe der Armuth in der Uebervölkerung und der Häufigkeit der Ueberschwemmungen, zufolge unzureichender Sicherung des Kanals, aber auch grossentheils in der Indolenz der hiesigen Be- wohner zu suchen sind.
Ebenso gleichförmig wie das Leben dieser bedürfnisslosen, in Arbeit aufgehenden Menschen ist ihr Land. Man sieht keine Hügel, nicht die geringste Bodenerhebung; aber auch keinen Baum, ausser Weiden, die eben die ersten Knospen trieben. Es wimmelte von Vögeln; besonders zahlreich waren schwarze, weisshalsige Krähen, grosse Elstern und kleine Strandläufer; aus den Feldern stiegen Lerchen auf und weckten heimathliche Erinnerungen. Im Uebrigen boten weder die Fahrt, noch die täglichen langen Spaziergänge auf den Dämmen sonderliches Interesse. Die wenigen Ortschaften, wie Kauyu und Pauying, sind unbedeutend und hatten sich noch nicht von der Taiping- Rebellion erholt.
Unter dieser Verwüstung hatte besonders die Stadt Hwai- nganfu gelitten, die wir am 23. März, dem ersten heiteren Tag, erreichten. Ehemals war sie von Bedeutung. Sie hat ihren Namen von dem Fluss Hwai, an dem sie lag. Marco Polo sagt, sie liege am Caramoran, d. i. dem Gelben Fluss, und sie sei des- halb das Centrum eines ausgedehnten Handelsverkehrs. Es scheint, dass damals der Hwanghö hier den Hwai erreichte. Später floss er weiter nördlich. Ueberhaupt haben gerade in dieser Gegend erhebliche Veränderungen stattgefunden, wie die verschiedenen Darstellungen der einzelnen Reisenden auf dem Grossen Kanal zeigen. Hwainganfu hatte noch hohe Bedeutung und Grösse, als die holländische Gesandtschaft hindurch kam; es herrschte ein ungemein reges Leben. Auch jetzt war noch ein Abglanz davon wahrzunehmen. Schon ehe wir hinkamen, fuhren wir durch lange, aus Lehmhütten gebaute Vorstädte und sahen die Mauern und Pagoden der Stadt. Aber die Bewohner waren aufs ärmlichste gekleidet. Zum ersten Mal zeigten sich hier Züge von Pack- thieren, die auf den Dämmen hinzogen, und auch sonst eine grosse Zahl von Pferden und Maulthieren.
I -n-ki.intrpu. 29
Wichtiger als diese Stadt, ist jetzt Tsing-kiang-pu, das sich am rechten Ufer des Grossen Kanals hinzieht und sich von diesem
hinauf auf den Damm des benachbarten Gelben Flusses erstreckt. Es ist zwar nur ein Dorf, aber doch ein bedeutendes Verkehrs- centrum. Hier war das Ziel meiner Bootfahrt erreicht. Es herrschte ein ungemein reges Leben, da alle von Süden kommenden Fahr- zeuge nur bis hierher gehen, und weiterhin grössere Schiffe zur Verwendung kommen. Alles muss umgeladen werden, und es ist daher für die Bedürfnisse der Schiffer wahrend ihrer Rast reichlich gesorgt. Schon Xeuhof sagt: »Es liegt dieses Dorf Siampu zwischen dem Kaiserkanal und dem Gelben Fluss und erstreckt sich mit seinen Häusern soweit in das Land einwärts, dass wir es denselben ganzen Tag nicht zum Ende gehen konnten. Es ist mit stattlichen Häusern und prächtigen Pagoden gezieret, welche an beiden Seiten des Wassers gar schön und künstlich erbaut sind«;.
Das Dorf hat städtischen Charakter. Eine innere, an Kauf- läden reiche Stadt ist von Backsteinmauern umschlossen, und eine Lehmmauer umzieht die Vorstädte, deren Strassen in der Mitte mit langen, behauenen Steinplatten gepflastert sind. Trotz des Menschengewühls und der Neugier bei dem Anblick der Fremden war das Benehmen der Leute durchaus anständig; die unvermeid- lichen Schreier wurden von ihnen sofort zur Ruhe verwiesen.
Landreise vom Alten Gelben Fluss nach Itschoufu.
Einige Schiebkarren übernahmen das Gepäck, ich folgte zu Fuss. Von dem Anlegeplatz in Tsingkiangpu nach dem 5 km entfernten alten Bett des Gelben Flusses führt eine breite, in der Mitte mit grossen Steinen gepflasterte Strasse, die offenbar nur für Schiebkarren bestimmt war, jetzt aber auch für zweirädrige Karren benutzt wurde. Man gelangt nach einem breiten Damm, der früher das Bett des Flusses begrenzte, und jenseits desselben nach einer Stelle, wo ehemals eine Fähre gewesen sein muss. Das alte Bett, welches der Gelbe Fluss ungefähr vom Jahr 1290 bis
^O Kap. I. Von Schanghai nach Scliantiii
[852 innehatte, seitdem aber verlassen hat, war hier über 500 Meter breit und besteht grösstenteils aus einer sehr flachen Mulde mit fast ebenem Hoden, der etwas höher liet^t als das Land ausser- halb des Dammes. Sie bezeichnet die Breite, welche der Fluss im Sommer bei Hochwasser hatte. Darin ist ein 200 m breiter und ungefähr 4 m tiefer Kanal eingeschnitten, der dem Strom früher als Winterkanal diente. Auf seinem Hoden verliefen zwei kleine Gräben, die jetzt trocken waren, im Sommer aber wahrscheinlich als Rinnsale für den Abfluss des sich ansammelnden Regenwassers dienten. So vollständig hat der mächtige Strom sein ehemaliges Bett verlassen. Die Alluvien des Flusses sind feinsandig und dadurch von den stark thonhaltigen des YangtszS verschieden. Als der Strom noch hier seinen Lauf nahm, floss er mit grosser Geschwindigkeit, wie dies die Mitglieder der früheren Gesandtschaften in den Berichten über ihre Reisen auf dem Grossen Kanal besonders hervorheben. Elias hat die Höhe des Dammes über der Ebene an mehreren Stellen zu 40 engl. Fuss gemessen, die Höhe über dem Boden des sommerlichen Flussbettes zu 13 bis 25 Fuss.
Die Steinstrasse beginnt wieder an dem jenseitigen Damm, an den sich unmittelbar der grosse Marktflecken Wangkiaying, d. i. »Ort der Familie Wang« , anschliesst. Hier wurden wir in ein weitläufiges Gasthaus gebracht, das erste der Art, das ich in China zu sehen bekam. Ueberhaupt war Alles anders, als in den bisher von mir besuchten Gegenden am YangtszS. Man merkt, dass man sich im nördlichen China befindet, wo der Verkehr auf Landstrassen beginnt, das Rad an Schiebkarren und Wagen zur Geltung kommt, undPackthiere eine Rolle spielen, während im Süden die Beförderung auf Wasserwegen geschieht, und die Landwege nur aus Fusssteigen bestehen, auf denen der Transport der Lasten durch menschliche Kraft geschieht. Das Gasthaus mit weitem Hof und Ställen, die breite Strasse, die zweirädrigen Karren, die Last- und Zugthiere verriethen den Wechsel; auch der Dialekt ändert sich und wird nördlich. Mein Tschangkweiti, oder Gast- wirth, meldete sich bald, um seine Aufwartung zu machen. Er trug einen Mandarinknopf und war ein stattlicher, gebildeter Mann.
In Wanglriaying. j|
Seine Einladung zum Mittagessen kehrte ich mit Erfolg in das entheil um. Er war bei der Mahlzeit gesellig und redselig und beantwortete bereitwillig meine zahlreichen Fragen. Aber Geld- angelegenheiten standen ihm offenbar obenan und beschäftigten ihn lebhaft; denn er war Reisekommissar für den Ort, und nur durch ihn konnte ich erhalten was ich brauchte. Mit Europaern war er nicht mehr unbekannt, und ich hatte schon früher von dem artigen Wirth diese> Ortes gehört; denn im Winter, wenn die nördlichen I [äfen zugefroren sind, kommen die Fremden von Peking und Tientsin auf der Durchfahrt nach Schanghai hier vor- über. Ich kam zum ersten Mal in den Fall, einen Vertrag für Landbeförderung abschliessen zu müssen. Mit den Reisemitteln unbekannt, folgte ich, zu meinem nachträglichen Bedauern, dem mir ertheilten Rath und miethete Karren. Reit- und Packthiere hatten mir besseren Dienst erwiesen; doch wären wahrscheinlich erstere schwer zu erlangen gewesen. Den Kontrakt machte ich in einer Form, die ich auch später beibehalten habe, und welche sich als die geeignetste erwies. Ich hatte zwei Karren nach Tsinanfu, das i-t eine Strecke von i ioo Li, die in elf Tagen zu- rückzulegen war, zu bekommen und dafür den Preis von 30 Taels, oder 180 Mark nach damaligem Kurs, zu zahlen. Für jeden von mir bestimmten Rasttag waren 1200 Kasch oder 41 ._. Mark, und für jeden seitlichen Ausflug 2000 Kasch oder 71 ■> Mark täglich zu zahlen. Diese Preise können nicht als Anhalt dienen, da sie ver- hältniss massig hoch sind; da aber wenige Fuhrwerke vorhanden waren , zahlte ich sie gern. Aehnliche Verträge kann man für die Beförderung nach anderen Richtungen machen. Ich lernte hier zum ersten Mal kennen, welche Bedeutung die weite Ausdehnung des einheitlichen Reiches für die Gestaltung des Gesichtskreises hat; denn ein chinesischer Fuhrmann, woher er auch komme, ist ohne Weiteres bereit, sich für die Reise nach irgend einem zu Wagen erreichbaren Ort zu verdingen. Dieselben Leute, die ich nach Tsinanfu miethete, waren erbötig, nach Hsi- ngan-fu zu gehen, das man in 26 Tagen erreicht, oder bis an das westliche Fnde der Grossen Mauer in der Provinz Kansu. Das sind Strecken, wie von Berlin nach Marseille, oder bis Madrid.
^j Kap. I. Von Schanghai Dach Schantuog.
Sie rechnen stets auf Benutzung zur Rückfahrt, sei es für «Im ganzen Weg, sei es für Theilstrecken desselben, oder zu Fahrten nach anderen, seitwärts weit ab gelegenen < »rten. Jetzt war der Verkehr gering; aber einst, als noch der Gelbe Fluss seine Fluthen hier vorüberwälzte, war Wangkiaying ein blühender und wichtiger Knotenpunkt. Ein Blick am mein geräumiges und für die jetzigen Verhältnisse viel zu gross und anspruchsvoll gebautes Wirthshaus genügte, den Unterschied /wischen Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen.
Der Aufbruch zu einer längeren Reise ist in China niemals leicht und braucht Weile; erst wenn man unterwegs ist, geht es gut vorwärts. Die Abfahrt sollte am frühen Morgen des genannten Tages geschehen. Aber es erschienen keine Wagen. Endlich, um io Uhr, gingen wir selbst nach dem Haus des Mandarin-Gastwirths, hatten jedoch alle Mühe, ihn zu finden. Niemand wagte, uns sein Haus zu zeigen, da die Leute unsere Absicht, ihn zu belästigen, ahnten. Endlich fanden wir die anspruchsvolle Wohnung. Nicht geringen Schreck verursachte es, als ich, da sich kein Wirth sehen liess und ich vergeblich nach ihm fragte, durch die Hinterthur in das Heiligthum der Familie einzudringen suchte. Ich ahnte damals noch nicht, wie unerhört solch ein Schritt ist, denn ich hätte die Frauen zu Gesicht bekommen können und damit vielleicht Unglück über die Familie gebracht. Man hielt mich bei Zeiten zurück. Der Versuch hatte jedoch die Wirkung, dass der aufgeschreckte alte Herr sofort erschien. Fr trat in feierlichem Gewand, sehr würdevoll, aber doch mit jovialem und zutraulichem Wesen heraus und hörte die Klagen an. Fs ergab sich, dass noch gar keine Wagen bestellt waren. Der Wirth griff, auf meine energische Vorstellung, selbst ein und liess sich herbei, wiederholt durch den vom nächtlichen Regen aufgeweichten Boden zu waten, um Fuhrwerk zu suchen, erklärte es aber für sehr schwierig, eines zu finden. Nachher stellte es sich heraus, dass er von der aus- bedungenen Summe so viel als möglich für sich zu behalten wünschte, um nur den Rest den Fuhrleuten zukommen zu lassen, wahrend diese natürlich ihrerseits einen möglichst guten Preis von ihm zu erhalten suchen mussten. So wurde es drei Uhr, ehe wir
knie chiii. - bule.
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fortkamen. Wiederholte Versuche des Wirthes, den Preis über den ausbedungenen Betrag hinaus zu erhöhen, schlugen fehl, und wir schieden in guter Freundschaft
Ehe wir abfuhren, besuchte ieh eine der eigentümlichen
chinesischen Pensionsschulen, welche nahe dem Gasthaus lag. Ein langer, behäbiger, und im Bewusstsein seiner klassischen Ge- lehrsamkeit stolzer Chinese mit einer Hornbrille war der Lehrer. Er hatte 8 Schuler. Knaben von 10 bis 14 Jahren, welche schreiben und lesen lernten. Sie Sassen in einem massig grossen Zimmer. Jeder hatte einen Stuhl und einen Tisch, auch standen einige Schlafstatten in dem Gemach. Kin zweiter Kaum enthielt eben- falls einige Schlafstätten; er diente gleichzeitig als Speisesaal. Ein Hofraum. 5 m lang und 4 m breit, vollendete das Institut. Die Knaben gehorten den Mittelständen an; sie sahen intelligent und geweckt aus und legten uns ihre recht guten Schriftproben vor. Der Lehrer sagte, dass die Jungen für ein Jahr bei ihm auf- genommen wären und den ganzen Tag über arbeiten müssten; Spielstunden und Bewegung würden ihnen nicht gegönnt. Sie schlafen in der Schule, und der einzige Ort, an dem sie das Sonnenlicht sehen können, war der kleine Hof, nach dem auch die Zimmerfenster gingen. Ks ist ein Prinzip der chinesischen Schulerziehung, dass der Geist wahrend der Lehrjahre auf einen Gegenstand concentrirt sein muss. Zu verwundern ist es, wie die kleinen Köpfe im Stande sind, sich den ganzen Tag, wenn auch in einer durchaus mechanischen Weise, geistig zu beschäftigen. Der erste Schreibunterricht besteht im Nachmachen verschiedener Schriftzeichen auf durchsichtigem Papier. Die Vorschrift ist in dicken, starken Strichen gemalt, und der Schüler lernt den Pinsel halten und gebrauchen. Er muss dieselben Charaktere sehr viele Male immer wieder malen, um sich an ihre Form zu gewöhnen und genau die fest normirte Zeitfolge kennen zu lernen, in welcher die einzelnen Striche zu machen sind. Auf die Aussprache und die Bedeutung wird zunächst keine Rücksicht genommen, da der Schuler eben nur eine grosse Anzahl fester Bilder im Kopfe be- halten soll Es wird vorausgesetzt, dass. wenn dies erreicht ist, die Verbindung der Ideen mit den Bildern ihm später leicht fallen
v. Richthofen, Schantung. 3
-•i Kap. I. Von Schanghai nach Schantni
wird und er ohne Schwierigkeit Vieles hinzulernen kann. Es ist schwer, sich eine Vorstellung von der psychologischen Wirkung zu machen, welche diese Art des Erlernens der Begriffszeichen haben muss, da sie sehr weit von der verschieden ist, welche mit dem Erlernen der Buchstabenschrift verbunden ist. Einerseits zwängt diese Me- thode die Denkthätigkeit in bestimmte Formen und trägt jeden- falls zu der Pedanterie bei, welche den Schriftkundigen später- hin eigentümlich bleibt. Andererseits entwickelt die Schriftkunde an sich, wegen der Verbindung jedes einfachen Schriftzeichens mit ganzen Bereichen von Ideen, den Geist, besonders wenn sie in geschickter Weise gelehrt wird. Mein Resuch schloss mit einer kleinen Episode, welche, diesen Unterschieden des Lehrsystems gegenüber, die internationale Aehnlichkeit der Schüler zeigte. Einer der Knaben mit einem hübschen und klugen Gesicht zupfte mich am Rockschooss und bat durch Pantomimen verstohlen um eine Cigarre. Durch andere Knaben, die sofort auf seiner Seite waren, vor den Blicken des Lehrers geschützt, streckte er die Hand unter dem Tische vor. In krassem Verstoss gegen die pädagogischen Principien, über die ich eben noch nachgedacht hatte, erfüllte ich die kleine Bitte, die hier im Innern Chinas, weit entfernt von Europäern und von Orten, wo man Cigarren raucht, an mich gerichtet wurde. Offenbar war schon vor mir ein Fremder von laxen Grundsätzen in dieser Schule gewesen.
Es ging nun hinaus in das Sandland, welches den Gelben Fluss begleitet. Bald hatten wir einen kleinen schiffbaren Wasser- lauf auf einer Fähre zu übersetzen ; dann trat an die Stelle des Sandes, der hier überall liegt wo Wasser geströmt ist, ein reicherer dunkler Boden. Weiterhin wechselt das Erdreich zwischen sandigem Lehm und lehmigem Sand, und jeder tiefere Einschnitt entblösst eine Unterlage von Sand. Dieser nördliche Theil der Provinz Kiangsu ist noch völlig eben und man sieht nirgends Erhöhungen. Das ganze Land ist angebaut. Auffallend ist die Siedelungsart in überaus zahlreichen einzelnen Gehöften, die sich zuweilen enger schaaren, aber nicht zu Dörfern zusammentreten. Jedes Gehöft ist der Wohnsitz einer Familie; da aber eine Familien- gruppe von 60 bis 80 und mehr Köpfen nichts Seltenes
Im nördlichen EQangsu. ■? -
so hat manches Gehöft das Ansehen eines kleinen Weilers. Ich versuchte eine Schätzung der auf dem Raum einer deutschen Quadratmeile befindlichen Gehöfte und kam, bei massiger Annahme für che Zahl der Bewohner eines Gehöftes, wiederholt auf eine Dichtigkeit von 16000 bis 18000 auf die Quadratmeile, oder 300
J30 auf das Quadratkilometer. In einem Abstand von je 20 Li oder ungefähr 10 km liegt an der Strasse ein Marktflecken. Diese Einrichtung wurde zur Zeit ihrer Anlage auf kaiserlichen Befehl geschaffen. In jedem findet nach je fünf Tagen ein Markt für die umliegende Gegend statt, und die zunächst aneinander ge- legenen Flecken wechseln sich nach einzelnen Tagen ab. Jeder dieser Orte ist mit hohen, festungsartigen Lehmmauern umgeben, bildet aber nur ein schmutziges Konglomerat von Lehmhütten. In dem ersten von ihnen, Laingantsi, war eben Markt. Körnerfrüchte, Schweinefleisch, Hühner, Fische, Brod, Salz, Rindvieh und Schweine waren die augenfälligsten Stapelartikel. Die Strasse war ein dichter Menschenknäuel. Ich fand mich nach einem der ostungarischen Jahrmarkte versetzt, wie ich sie noch kurz zuvor kennen gelernt hatte, und die ebenfalls auf schmutzigen Strassen zwischen Lehm- hütten abgehalten wurden. Aber es fehlten hier der Flitter, die bunten Farben, die malerischen Frauentrachten, die Putzwaaren und bunten Tücher, ebenso wie die markigen Gesichter der Männer. Und doch waren es die letzteren, die in mir zunächst die Er- innerung wach riefen; denn es ist hier ein anderer Menschenschlag, als südlich des Gelben Flusses. Die Gesichtsfarbe ist oft dunkel, und Schnurrbarte werden häufig. Man erkennt den Unterschied zwischen dem Süd- und Nord-Chinesen.
Die Strasse folgt nun dem nördlichen Damm des früheren Bettes des Grossen Kanals und führt meist auf ihm hin. Doch war der Kanal jetzt trocken und sein Boden nur noch mit einzelnen Tümpeln bedeckt. Das Wassersystem der Gegend ist mir weder aus dem Augenschein, noch aus den Berichten solcher Reisender, welche den Grossen Kanal beschrieben haben, klar geworden.
scheint, dass, nachdem der Gelbe Fluss sein Bett verlassen hatte, der Kanal über das alte Bett hinweg neu angelegt werden musste und man dazu einen von dem früheren verschiedenen
3*
^5 Kap. 1. \'i>n Schanghai nach Schantnng.
gewählt hat Der Damm ist fest gebaut und hat auf der
oberen Mache noch eine Breite von 20 bis 30 Meter. Als ich stundenlang auf ihm wanderte, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass er einst von ausserordentlichem Wcrth fin- den Hau einer Eisenbahn sein wurde. Die angrenzende Kbene scheint im Sommer zum Theil mit Wasser bedeckt und Ueber- schwemmungen ausgesetzt zu sein; es zeugen davon die zahllos verbreiteten kleinen Schalen von Paludinen. Ein Damm würde daher bei der Anlage einer Eisenbahn erforderlich sein. Hier findet sie einen vor, der beinahe zur Aufnahme des Schienen- weges bereit ist und eine Ausgabe von Millionen ersparen würde. Die zahlreichen Lehmhütten, die darauf stehen, würden für wenig Geld zu erhalten sein. Gräber sah ich nicht auf dem Damm, wahrscheinlich, weil Grund und Boden staatliches Eigenthum sind. Schon bei der Fahrt von Tschinkiang nach Tsingkiangpu hatte ich diese Betrachtung bei meinen Spaziergängen häufig angestellt, und es schien mir, als würde die Befestigung, die man dort dem Damm behufs Anlage einer Eisenbahn geben müsste, erheblich zur Sicherheit der den Ueberfluthungen ausgesetzten östlichen Ebene beitragen. Einige Monate nach dieser Reise kam mir ein während dieser Zeit geschriebener Reisebericht des englischen Consuls Herrn Alabaster zu Gesicht, in welchem ich dieselbe Idee ausge- sprochen fand. Jetzt dürfte ihre Verwirklichung nicht mehr fern sein.
In der nächsten Strecke wurde der Boden sandiger, die Gegend ärmer. Die Feldarbeit war auffällig weit hinter derjenigen der Ebene im Süden des Gelben Flusses zurück. Es wurde hier noch gepflügt, gesät und gedüngt; die Wintersaat schien sehr gering zu sein. So erreichte ich Sutsien-hsien. Hier waren wir von einer widerwärtigen Menge umringt, dem ärmlichsten, zer- rissensten Volk, von allen Altersstufen. Ehemals war dies eine wichtige Station der Schifffahrt auf dem grossen Wasserweg. Neu- hof beschreibt noch, wie bis hierher die von Süden kommenden Fahrzeuge auf dem Gelben Fluss aufwärts gezogen wurden, um nun wieder durch Schleusen in den Kanal zu gelangen.
Wenige Li hinter dieser Stadt übersetzt die Strasse ein breites, ganz versandetes Flussbett, in dem sich jetzt nur stehendes
Die Reicbsstrasae Dach Peking. 97
Wasser befand. Hier sind die Ruinen der alten, mächtigen Brücke Vungschönnkiau. An der Stolle der eigentlichen Stromrinne ist sie ganz weggerissen; ZU beiden Seiten derselben zahlte ich auf dem Sand 32 noch stehende Pfeiler, Sie sind aus grossen Back- steinen gebaut und mit Quadern von dunklem, oolithischem Kalk- stein verkleidet, was ihnen ein massives Ansehen giebt. Jeder Pfeiler ist 1 2 Fuss hoch, 8 Puss dick und 16 Fuss lang. Sic stehen 10 Fuss auseinander. Der Strom kommt ersichtlich von Sudwest, da die [feiler nach dieser Seite ein scharfes, nach Nordost ein stumpfes Ende haben. Die Verbindung zwischen den Pfeilern geschah durch lange, behauene Stücke von demselben Kalkstein. Früher muss die Brücke mindestens 60 Pfeiler und eine Länge von IOOO Fuss gehabt haben. In einem Land, wo Ruinen selten sind, i-t die eines so grossartigen Bauwerkes eine augenfällige Er- scheinung. Der Fluss führt den Namen Liutanghö und muss zu manchen Zeiten ausserordentlich reissend gewesen sein; doch ist er vollständig versandet. Der zu dem architektonischen Zweck verwandte und dazu vorzüglich geeignete dunkle Kalkstein findet sich von nun an auf eine grössere Strecke bei ähnlichen, wenn auch minder grossen Bauwerken herrschend. Er war mir nicht unbekannt, da mir Herr Ney Elias Stücke desselben von einem Bauwerk im sudlichen Theil der Provinz Tschili gezeigt hatte. Ich habe ihn spater in grosser Ausdehnung in Schantung und im ganzen nörd- lichen China gefunden und sein cambrisches Alter festsetzen können.
Ein so bedeutender Brückenbau in einer gegenwärtig nur geringem Verkehr dienenden Gegend Hess darauf schliessen,
hier einst eine grosse Heerstrasse führte. In der That war sie ein Glied des Systems der von Peking nach den südlichen und westlichen Provinzen ausstrahlenden Reichsstrassen, welche unter der Mongolen -Dynastie in vollem Umfang hergerichtet wurden. Ich bin dann dieser Strasse bis in die Nähe der Haupt- stadt Tsinanfu gefolgt. Sie berührt eine Reihe von Städten. Ausserdem wurden ihr entlang in vorgeschriebenen Abständen neue Ortschaften als Relaistationen für diejenigen, welche im Auf- der Regierung reisten, angelegt. Hier standen stets Pferde
2g Kap. I. Von Schanghai ruck Schantong,
und dienstthuende Leute bereit, und in auffallend kurzer Zeit konnten Boten von Peking nach fernen Orten geschickt werden. Andere Reichsstrassen dienten auch für Frachtverkehr, doch war die durch das westliche Schantung führende dazu weniger bestimmt, da der Kanal die Funktion vollständig erfüllte.
Mit der grossen Brücke verliess ich das weite Alluvialland, das sich in der Mündungsebene von Hwanghö und Hwai, und dann hinab bis zum Yangtszö, ausdehnt. Es beginnt Hügelland; die Strasse wird rauher und unbequemer. Der Anstieg beginnt unmittelbar hinter der Brücke. Der erste Hügel heisst Tschang- schan, der »lange Berg«, ein Name, den er wohl verdient, da sich der Hügelrücken 50 km lang von Süd nach Nord erstreckt. Der höchste Theil der Strasse liegt 60 m über der Ebene, während der Hügel noch 20 m höher ansteigt. Von ihm blickt man hinab in das endlose, ebene Land im Süden. Aber im Südwesten, jen- seits des Gelben Flusses, sieht man langgedehnte, abgeplattete Höhenzüge, welche noch kaum die Erhebung des Tschangschan erreichen, und genau im Westen erscheinen in 25 bis 30 km Ab- stand einzeln aufragende Hügel von etwa 200 m Höhe. Sie er- heben sich, wie es scheint, auf einer breiten, flachen Anschwel- lung. Im Osten ist das Land flach, steigt aber allmählich gegen Norden an. In weiter Ferne erblickt man dort einzelne Insel- hügel. Wahrscheinlich wird in ihnen der Gneiss gebrochen, den ich in der Gegend von Wangkiaying vielfach als Baumaterial ver- wendet gefunden hatte. Keinem Beobachter kann die grosse Menge kleiner, unregelmässig knotig gestalteter Steinchen ent- gehen, mit denen das Flussbett und die Gehänge der Hügel bedeckt sind. Es sind diminutive Exemplare der sogenannten Lössmännchen; sie stammen aus dem gelben Lössboden, welcher den Tschangschan umhüllt und bedeckt. Der Kern des letzteren tritt an vielen Stellen hervor und erweist sich als eine Ablagerung von rothen Konglomeraten und Sandsteinen, die, wie ich aus nachträglichen Beobachtungen für wahrscheinlich halte, die Stein- kohlenformation bedecken. Wenn sich dies als richtig erweisen sollte, so wird man hier in der Tiefe die Fortsetzung des Kohlen- feldes von Itschoufu finden.
An <lci < koiM vun Schantunfj. -jq
Am nächsten Morgen, den 28. Mar/, war es wieder hart gefroren; es folgte aber ein schöner, heiterer lag, und die Sonne brannte wie im Hochsommer, an i\cn auch eine auffallend starke Luftspiegelung erinnerte. Von dem Markt Sz'wu, wo ich über- nachtet hatte, folgt man, nordwart- gehend, noch immer der öst- lichen Verflachung des Tschangschan und gelangt dann in eine von zwei Flüssen begrenzte Ebene. Oestlich kommt der Schuhö herab, welcher selbstständig in das Meer mündet, westlich der Ihö, dessen Name bereits in den ältesten Schriften Erwähnung findet und dessen Wasser zur Anlage des Grossen Kanals gebraucht wird. Gegen beide Flüsse sind Dämme errichtet, um das da- zwischen liegende Flachland zu schützen. Jenseits des SchuhÖ erhebt sich eine, dem Tschangschan ähnliche, langgedehnte Hügel- zunge, die aber nicht mehr isolirt zu sein, sondern mit dem nörd- lichen Gebirge zusammenzuhängen scheint. Rothe Färbung, sowie Form und Charakter der Auswaschungen, machen es unzweifelhaft, äie aus dem rothen Sandstein und Konglomerat des Tschangschan besteht, und diese Gesteine wahrscheinlich auch hier einen wichtigen Anhalt für die Auffindung der Steinkohle geben werden. Im Westen, jenseits des Ihö, ist nur Ebene; wenigstens zeigte die klar unter- gehende Sonne keine Erhöhung in dieser Richtung.
Von der Brücke Vungschönnkiau an treten manche Aende- rungen ein. Während südöstlich von ihr das Land mit einzelnen Häusern und Gehöften besät war, geschlossene Ortschaften aber sich spärlich zeigten, sammeln sich von dort an die Häuser zu Dörfern, zwischen denen nur hier und da einzelne Gehöfte ein- gestreut sind. Grössere Ortschaften sind aber auch hier noch selten. Das Land ist anfangs augenfällig arm. Von weit ab- gelegenen Häusern laufen die Kinder den Karren, die sie ankommen sehen, zu und betteln um einen Kasch. Oft stimmten Dutzende von ihnen einen eintönigen Gesang an. Warf ich ihnen einige Bettelpfennige zu, so machte sich das Recht des Stärkeren geltend, und die Kleinen und Schwächeren gingen klagend leer aus. Sie waren halb nackt, nur mit einigen alten Fetzen behängt. Nicht viel besser war die Kleidung der Erwachsenen. Dies ging so fort l)i- an die Grenze der Provinz Schantung. Hier zeigte sich
aq Kap. I. Von Schanghai nach Schantung.
plötzlich eine erfreuliche Aenderung. Zuerst fiel dies in die Augen bei dem Marktflecken Liumatschwang. Die Karten ziehen die Grenze der Provinzen Kiangsu und Schantung südlich von diesem Ort. Es wurde hier eben Wochenmarkt abgehalten. Der Unter- schied von dem vorher beschriebenen war gross. Auch hier drängte sich das Landvolk in den Strassen; die Händler hatten ihre Waaren zu beiden Seiten ausgebreitet, so dass die Wagen Mühe hatten hindurchzukommen; aber die Leute waren gut ge- kleidet und benahmen sich anstandig, insultirende Redensarten kamen kaum zu unseren Ohren. Die Strasse, die sich südlich von dem Flecken grösstentheils in sehr schlechtem Zustand befand, war nördlich davon breit und wohlgepflegt, mit tiefen Gräben zu beiden Seiten und zuweilen mit Reihen von Bäumen bepflanzt, was in Kiangsu nirgends der Fall war. Die Häuser in den Dörfern und Flecken sind noch vorherrschend aus Lehm gebaut, aber sie haben wenigstens Spuren von Fenstern; und je weiter wir später kamen, desto mehr konnte man das Bedürfniss nach Luft und Licht sich steigern sehen. Jeder Ort hat seinen Tempel mit hohen Bäumen, und man sieht Portale, sogenannte Pailöus, aus gehauenem Stein, mit Inschriften und Basreliefs verziert, wie sie zu Ehren tugendhafter Frauen und Jungfrauen gesetzt werden. Sie fehlen in keiner Stadt und werden besonders den Wittwen errichtet, welche aus Pietät vor dem Andenken an ihren verstorbenen Ehemann nicht wieder heiratheten, und den Mädchen, welche, um ihre Eltern zu pflegen, den Eintritt in die Ehe verschmähten. Bei den Häusern erscheinen sorgfältig gepflegte Gärten, die mit Hecken einer kleinen dornigen Agrumenform umgeben sind. Es beginnen grosse Obstgärten, in denen die Pfirsichbäume zum Theil schon in Blüthe standen. Zwischen den Dörfern war hier und da ein Flecken mit einer Art Thuja bepflanzt; doch giebt es keine Wälder; man gewährt den Bäumchen nur ein Alter von io bis 12 Jahren. Es meldete sich hier nicht ein einziger Bettler. Arme Leute giebt es wohl, und sie sind in Lumpen gekleidet; aber diese sind ordentlich zusammengenäht und hängen nicht in Fetzen herunter. Man erhält den Eindruck einer höheren Stufe der gleichen Kultur und eines Sinnes für Ordnung'. Und doch sind
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Vor [tschoufu.
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die Provinzen Kiangsu und Schantung nur durch eine künstliche Linie getrennt Die physischen Bedingungen Beider sind in dem Grenzgebiet nicht wesentlich verschieden; einen Gegensatz bietet nur die Bevölkerung, und er ist scharf ah die Grenze gebunden. Auf die Ursache dieser Erscheinung werde ich spater zurück- kommen.
Die Art des Reisens begann sich gleichmässig abzuspielen. Der chinesische Karren bietet den Vortheil, dass man sich >tct> in freier Luft befindet, offene Aussicht hat und nach Belieben zu Puss wandern kann. Letzteres wurde auch bald die beinahe ausschliessliche Art der Fortbewegung, da es in der Regel leicht ist. mit dem Wagen Schritt zu halten. Spät Abends kamen wir Quartier, es wurden einzelne Gepäckstücke abgepackt, der Boy bereitete die Mahlzeit, die Lagerstätten wurden hergerichtet; ich selbst aber sass bei dem Stearinlicht, welches mir auf allen meinen Reisen nicht ausgegangen ist, an der Arbeit. Das Tage- buch musste geschrieben werden, die Karten waren nach den unterwegs aufgenommenen Kompass- Beobachtungen zu zeichnen. Selten kam ich vor Mitternacht zur Ruhe, wenn meine Begleitung schon zwei bis drei Stunden geschlafen hatte. Um 4 Uhr früh musste Alles aufstehen. Dann wurde Feuer gemacht, das Früh- stück von Kakao gekocht, die Sachen gepackt und um 6 Uhr aufgebrochen. Die Mittagsrast fiel gewöhnlich in die Stunden von 1 bis 3 Uhr, und kamen wir Abends ins Gasthaus, so begann die Arbeit wie vorher. Für die kurze Nachtruhe konnte ich mich an solchen Stellen, wo der Weg durch Sand oder F2bene führte und nichts zu beobachten war, entschädigen; doch wurde bald die Fülle de> Interessanten so gross, dass eine Zeit zur Tagesruhe nicht mehr vorhanden war.
Bei Tantschöng-hsien hört die von den beiden Strömen begrenzte Ebene auf. Es beginnt ein Lössrücken, der die von nun an getrennten Thäler scheidet, und aus dem sich nordwärts ein fortlaufender Ilügelzug entwickelt. Die Strasse wendet sich dem Iho zu und überschreitet ihn bei dem Dörfchen Likiatschwang. Hier treten ganz unerwartet dieselben rothen Sandsteine auf, von denen ich vorher sprach, ohne die Ebene zu überragen; das Fluss-
1 2 Kap. I. \'on Schanghai nach ScbA&tung.
bett ist zum Thcil in sie eingeschnitten. Die Steinkohlenformation dürfte daher in der Tiefe liegen. Das Wasser des Flusses war klar und erfüllte das Bett in einer Breite von 60 bis 120 Meter bei einer Tiefe von 1 bis 2 Meter. Die Hochwassermarke aber lag ungefähr 6 Meter über dem jetzigen Wasserspiegel; die Breite muss dann mindestens das Vierfache betragen und der IhÖ zu einem kraftigen und reissenden Strom werden. Es lagen hier viele Fahr- zeuge, breit mit flachem Boden; doch sagte man, dass sie jetzt nutzlos seien und nur bei Hochwasser stromabwärts gehen könnten. Die Ufer des Flusses zeichnen sich durch ihren Baumreichthum aus, besonders aber durch weitläufige Obstgärten.
Ueber fruchtbares Gelände fuhren wir weiter nach der Bezirks- Hauptstadt Itschoufu und kehrten dort in einem armseligen Wirths- haus ein. Der Ort selbst bietet nichts. Seine Umfassungsmauern sind gut erhalten, aber die Strassen im Inneren, mit ihren kleinen Häusern und Kramläden, sind des Ranges der Stadt nicht würdig. Ehe ich auf die weitere Fortsetzung der Reise eingehe, will ich einige allgemeine Bemerkungen über die Provinz Schantung vorausschicken.
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ZWEITES KAPITEL.
Natürliche Beschaffenheit von Schantung.
Gegensatz zwischen Süd- und Nord-China.
Weit aus dem Inneren von Asien her erstreckt sich nach Osten eine Gebirgswelt, ausgedehnt wie keine andere auf der Erde. Im Himalaya und der tibetischen Bodenschwelle ragt sie zu Riesenhöhen auf; sie verbreitert sich nach Osten, und wo wir in das Ursprungsland der Riesenströme des südöstlichen Asien kommen, quellen die Gebirge über, wie aus einem Füllhorn. Theils setzen sie ostwärts fort, theils ziehen sie nach Südost und Süd hinab. Sie erfüllen das mittlere und südliche China, nehmen ganz Hinterindien ein, und erstrecken sich fort in der herrlichen Inselwelt von Indonesien. Wo die Verbreiterung eintritt, erreichen wir die politische Grenze des eigentlichen China, des „Landes der achtzehn Provinzen". Bleiben wir in dessen Bereich. Noch ragen die Gebirge bis zu mehr als 6000 Meter auf; dann senken sie sich herab, bleiben aber fest geschlossen, wenn auch die Höhen wechseln und ganze Theile beckenartig eingesenkt sind; denn auch sie sind von Flüssen durchfurcht und in Bergland aufgelöst. Kein ebenes Land breitet sich aus; selbst die Ablagerungen der Flüsse bilden selten einen Thalboden von einigen Kilometer Breite. Ein üppiges, grünes Pflanzen- kleid überzieht Gebirge und Thäler; denn die Monsunwinde des Sommers bringen die Feuchtigkeit in der Jahreszeit, wenn die Pflanzen
i_l Kap. II. Natürliche Beschaffenheit tob Schantung.
sie brauchen, und die verwüstende Hand der dicht gcsiedelten Menschen hat nicht vermocht, die Vegetation zu vernichten. Immer sprosst sie abfs Neue üppig empor, und leicht wird Alles erzielt, was die Bewohner zu ihrer Existenz und zu einem darüber hinausgehenden Wohlstand gebrauchen. Ströme sind in das Bcrgland eingesenkt; sie gehören den Becken des Yangtsz£kiang und des 1 [sikiang an und sind grossentheils schiffbar, in den Südost-Provinzen vielfach bis in die Nähe ihrer Quellen; denn die Erosion hat hier die Thäler so vollkommen ausgestaltet, wie es in keinem anderen ausgedehnten Gebirgsland der Erde vorkommt.
Erst weit im Osten vollzieht sich eine Aenderung. In grosser Breite zieht das durchfurchte Gebirgsland fort, bis es an den ge- birgigen Küsten des südlichen China sein Ende erreicht. Ihr schön geschwungener Bogen zieht von der Südgrenze des Landes bis Ningpo. Dies ist, abgesehen von den wenig nutzbaren Fjord- küsten in den Regionen ehemaliger Eisbedeckung, die am reichsten gebuchtete aller Küsten von gleicher Länge. Sie gehört den Provinzen Kwangtung, Fokien und Tschökiang an. Eine grössere Zahl von Flüssen, die fast alle der Schifffahrt dienen, ziehen von der nicht fernen Wasserscheide durch das Gebirgsland zur Küste hinab. In ihren Thälern sind Anbau, Bevölkerung und Grossstädte concentrirt, und an ihren Mündungen oder. in deren Nähe liegen in tiefen Buchten, oder in inselgeschützter Lage, dem Fremdhandel geöffnete Häfen.
Nördlich vom 30. Breitengrad, unter welchem Ningpo liegt, ändert sich der Charakter der Küste. .Hier mündet der Riesen- strom, den die Chinesen im Oberlauf ,,Kinschakiang", d. i. Gold- sandfluss, im Mittel- und Unterlauf „Takiang", oder der Grosse Strom, nennen (s. oben S. 25). Er entspringt fern in Tibet, zieht durch die Gebirgswelt hindurch und nimmt zahlreiche Abflusskanäle aus ihr auf. In dem Gebiet seines Unterlaufes sind grosse Theile des Gebirges hinabgesunken. Es wurden Hohlformen geschaffen; der grosse Strom hat sie mit seinen Sedimenten überschwemmt und ausgefüllt, so dass sich weite Verebnungen zwischen den Gebirgslandschaften aus- breiten. Aber die Gipfel der versenkten Gebiete ragen als Kämme oder einzelne Gebirge aus dem Schwemmland auf. Dies ist der
Süd- und Nord-China.
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Charakter am unteren Yangtsze'kiang, von [tschangfu bis zu der in geradlinigem Abstand von beinahe iooo km liegenden Mündung.
Im Norden wird diese Gebirgswelt durch eine starre und breite Gebirgskette! den Tsinlingschan, abgegrenzt, der, als das letzte Glied des langgestreckten und gliederreichen, im Pamir wurzelnden, in seinen Kämmen und Gipfeln zu 6 bis 7000 m auf- ragenden Kwenlun-Gebirges, sich von West nach Ost mit etwas südöstlicher Abweichung erstreckt, erst noch hoch und gedrungen, dann ebenfalls tiefer herabgesenkt. Hier führt eine niedere Kette, die wahrscheinlich als die Fortsetzung der genannten zu betrachten ist, den Namen des Hwai-Gebirges, Sie reicht bis in die Gegend von Nanking und bildet mit dem Tsinling die nördliche Wasser- scheide des Yangtszekiang und die Grenze des mittleren gegen das nördliche China.
Gehen wir nach Norden, so befinden wir uns in einem Land von ganz anderem Charakter. Der Wechsel vollzieht sich an der ganzen Linie. Schon fern im Westen steigen wir von den tibe- tischen Randgebirgen tief herab in ein weites, dem europäischen Mittelmeer ähnliches, relativ tief gelegenes Becken, dessen Zu- flüsse sich zu dem einsamen See Lobnor sammeln und dort versiegen. Innerhalb des eigentlichen China ist weder das Scheide- gebirge so hoch wie dort, noch ist das ihm im Norden vorliegende Land im Verhältniss so tief versenkt; aber der Kontrast ist auch hier augenfällig. Statt des durchschluchteten Gebirges im südlichen China sehen wir in den Nordwestprovinzen Verfluchungen, bald tiefer, bald höher gelegen; aus ihnen erheben sich höhere Staffeln, die wieder Yerflächungen tragen, und einzelne Gebirgszüge. Hier sind manche Flüsse streckenweise von breiten Alluvialflächen be- gleitet, aber nur einzelne sind hier und da etwas schiffbar, und nirgends dienen sie einem ausgedehnten Verkehr. Kleinere Bäche schneiden sich in engen, ganz unfertigen Furchen in die tafelartig gelagerten Schichtgesteine ein und gewähren kaum Raum für einen Fusspfad.
l)ieses gesammte Gebirgs- und Tafelland des nordwestlichen China endet nach Osten in einer Linie, die im Allgemeinen von Süd nach Nord mit etwas nordöstlicher Abweichung gerichtet ist.
4(5 K . 1 1 > . II. Natürliche Beschaffenheit von Schantunp.
Die Schichten der Steinkohlenformation, welche wesentlichen An- theil an dem Aufbau des Berglandes haben, senken sich in grossen Staffel form igen Brüchen nach Osten tief herab. Es ist ein Theil eines Bruches, derweitdurch den Kontinent fortsetzt. Südwärts erkennen wir ihn wieder an der Stelle, wo der Yangtsze- das Gebirge bei Itschangfu verlässt, und nordwärts scheint er in dem Terrassenabfall des Khin- ean-Gebirg-es fortzusetzen, vielleicht bis zum Okhotskischen Meer.
An diesen Abfall schliesst sich im Osten unmittelbar tief gelegenes, offenes Land, als die Grosse Ebene von China bekannt. Steht man auf ihr, so sieht man den Abfall wie ein Gebirge an- steigen. Die Chinesen nennen es Taihangschan, „das grosse Mauergebirge". Steigt man hinauf, so bleibt man auf der Höhe, und weitere Staffeln erheben sich darüber. Der Fuss des Abfalls wird durch eine Reihe namhafter Städte bezeichnet, deren nörd- lichste Peking ist. Hier hat die Grosse Ebene ihre Grenze. Im Süden reicht sie bis zum Fuss des Hwai-Gebirges, d. h. bis in die Nähe der Wasserscheide des Yangtsze. Nach Osten dehnt sie sich, abgesehen von einer Unterbrechung durch das Bergland von Schantung, bis zum Meer aus, und hier vereinigt sie sich mit dem Flachland am Unterlauf des Yangtszg. Daher kommt es, dass, während das nördliche China von dem mittleren entlang der weit ausgedehnten Wasserscheide durch eine zwar schmale, aber schwer durchlässige, strichweise fast hermetisch abschliessende Zone ge- schieden ist, hier in der Nähe der Küste beide Regionen in einander verfliessen, und'eine leichte Kommunikation stattfinden kann. Dies wiederum ist der Grund, weshalb hier der Grosse Kanal angelegt worden ist. Der vorerwähnte Lössrücken bei Yangtschoufu (S. 16) be- zeichnet das östliche Ende der langen Scheidelinie.
Noch ein anderes Merkmal zeichnet den scharfen Kontrast des nördlichen China gegen den gesammten Süden. Am meisten ausgeprägt ist es in dem höher gelegenen und zum Theil gebir- gigen Nordwesten. Ueber hohes und niederes Land, Gebirge, Tafelflächen und Thäler, breitet sich dort eine nur stellenweise unterbrochene Decke von gelber Farbe aus. Es ist Löss, eine lockere, sehr poröse, lehmfarbige Erde, die durch Kalkgehalt ge- nügend verfestigt ist, um dort, wo sie unterwaschen wird, in
Der Hwanghö- ah
hohen, senkrechten Wänden abzubrechen. Einst, wahrend un- endlicher Zeiträume , vom Wind als Staub herabgeführt und von Gräsern und Kräutern ehemaliger Steppen festgehalten, füllt der die früheren tiefen Hohlformen zwischen den Erhebungen in grosser Mächtigkeit aus. Seine ursprüngliche Oberfläche ist nicht eben, wie die des Schwemmlandes der Thalböden, sondern hat die Gestalt sanfter Mulden. Leicht schneiden sich die Ge- •r Furchen hinein, oft mehrere hundert Meter tief. Sie unter- graben den Löss, er stürzt in Schollen herab, wird aufgelöst und weggeführt; daher sind die Flüsse gelb gefärbt. Sie sondern den Sand, der sich langsam fortschiebt, von den thonigen und allen feinen Theilen, die vom Wasser schwebend weggetragen werden. Ein grosser Strom, der HwanghÖ oder Gelbe Fluss, der eigent- liche Strom des nördlichen China, vereinigt diesen Abfluss in eine Rinne, er sammelt mit den Gewässern die darin suspendirten Stoffe und trägt die feineren dem Meere zu.
Der Hwanghö und die Grosse Ebene.
Von dort, wo der Gelbe Fluss das höhere Land verlässt, hat er noch einen weiten Weg, 500 km und mehr in gerader Linie, zum Meer. Offenes Feld liegt vor ihm, und als der Mensch ihn noch unbehindert liess, hat er seinen Besitz daran frei be- hauptet, indem er von Zeit zu Zeit verschiedene Wege einschlug. Bald wandte er sich nordwärts, dem Fuss des Gebirgsabfalles ent- lang, fast bis nach Peking hin, wobei er den ganzen Abfluss des Gebirgslandes bis zum Paihö hin aufnahm und ostwärts von Tientsin dem Meer zuführte; bald ging er südwärts, wo sich aus dem Hwai-Gebirge heraus das Stromsystem des Hwai-Flusses ent- wickelt, und vereinigte sich mit dessen Unterlauf; bald flos-> er geradeaus.
Da aber fand er ein Hinderniss. Denn mitten aus der Ebene erhebt sich ein breites Bergland, nur von geringer Höhe und im Inneren unregelmässig aufgelöst, aber ausgedehnt. Es erstreckt sich 600 km lang nach Osten hin bis in das Meer hinein, in das es
[(X Kap. II. Natürliche Beschaffenheit ron Schantong.
als breite Halbinsel vorspringt. Man hat deren Gestalt mit dem Profil eines Kameelkopfes verglichen. Dies ist das Bergland von Schantung. Ob es einmal ein vom Meer umschlossenes Inselland gewesen ist, lässt sich noch nicht feststellen. Von dem übrigen Gebirgsland von China ist es durch Versenkungen von nicht be- kannter Tiefe geschieden, die ganz mit Sedimenten ausgefüllt sind und sich dadurch als Ebene darstellen. Der Gelbe Fluss mag einen grossen Antheil an den tieferen Ablagerungen haben, jedenfalls hat er die oberen Lagen geschaffen; es sind Bestand- teile des aus fernen Gegenden entführten Lössbodens, die er bei seinen Ueberschwemmungen hier ausgebreitet hat. Den feinen Sand schob er in seinem Bett langsam vorwärts und häufte ihn, wenn er austrat, längs seiner Ufer an; denn seine überfluthenden Gewässer bedeckten weithin seeartig die Fläche, und an der Grenze des strömenden und des stillstehenden Wassers fielen die gröberen Bestandteile nieder, während die feineren auf den über- schwemmten Flächen liegen blieben und einen ungemein frucht- baren Boden schufen. Einen grossen Theil davon aber führte er in das Meer, das weithin gelb gefärbt wurde und daher seinen Namen erhalten hat. Hier fielen allmählich die noch schwebenden Theile nieder und strebten das Meer auszufüllen. Hatte der Fluss durch den fortgeschobenen Sand sein Bett zwischen den von ihm selbst geschaffenen Uferwällen über die umliegende Ebene genügend erhöht, so suchte er ein neues Bett, oft in weiter Divergenz mit dem vorhergehenden. So schuf er durch häufige Verlegung einen langsam zum Meer sich abdachenden, ungeheuren Schuttkegel aus den feinerdigsten Stoffen, zwischen denen aber sandige Strecken, welche die Stromläufe der letzten Jahrtausende anzeigen, nicht fehlen.
Das Gebirgsland von Schantung ist eine grosse Insel in diesem Schuttkegel, halb in seinen überseeischen Theil gehüllt, halb in das Meer und die dort angehäuften Sedimente hinabtauchend. Stiege das Meer um Weniges an, so würde es die tieferen Theile des Schuttkegels überspülen und das Bergland von allen Seiten umgeben. Dann wäre letzteres von dem zusammenhängenden Kontinent völlig abgeschlossen.
Aendenuageu im Lauf >k-> Hwanj aq
Als (\cv Mensch von diesem Land Besitz ergriff, begann er früh mit Versuchen, den Strom zu bannen und ihn in das Bett einzuzwängen, welches eben vorgefunden wurde. Ks wurden Dämme gebaut, die <.\cn Fluss -einer Freiheit zur Herbeiführung von Ueberschwemmungen beraubten und ihn zwangen, die Sedimente, die er sonst auf die Ebene auszubreiten pflegte, in das Meer zu führen. Aber ehr vorschiebende Sand erhöhte nun sein Bett noch schneller als früher über die anliegende Gegend; an einer schwachen Stelle durchbrach er die Schranke; man versuchte zuweilen er- folgreich, ihn noch für einige Zeit zurückzudämmen; aber schliess- lich, wenn es ihm gelang die Bresche zu erweitern, behauptete er sein Recht über den selbst geschaffenen Schuttkegel und walzte seine ganze Wassermasse aus seinem Kanal hinaus über die Ebene hin. Fand er dann das Bett eines Flusses, das zum Meer ge- richtet war, so ging er bei ihm zu Gaste, nahm sein Bett ein, er bald erweiterte, und walzte seine Fluthen mit ihm vereint dem Meere zu. Zu wiederholten Malen hat sich dies in der Ge- schichte ereignet. Die historischen Aenderungen sind aufgezeichnet, denn sie spielen eine grosse Rolle in der wirthschaftlichen und politischen Geschichte des nördlichen China. Die Fruchtbarkeit der Ebene lockte zur Ansiedelung, und es entstanden blühende Landschaften, in denen eine fleissige Bevölkerung dicht geschaart lebte. Kam dann über sie eine plötzliche Fluth des gefürchteten Stromes, so waren sie verloren, denn bei dem ebenen Charakter des Landes wurden sofort breite Flächen vom Wasser bedeckt; nur die in den Randgebieten Lebenden konnten sich retten, die Anderen kamen um; und oft hat man diese nach Hunderttausenden geschätzt. Vergeblich wurden die zu Wächtern des Stromes be- stellten Beamten, denen grosse Summen zur Instandhaltung der Hamme anvertraut waren, degradirt oder mit dem Tode bestraft. Trug auch manchmal Nachlässigkeit bei den Dammarbeiten die Schuld, oder wurde sogar von Rebellen oder kaiserlichen Truppen eine Bresche absichtlich gelegt, um eine feindliche Armee unter Wasser zu setzen, so traten doch, wenn das Bett zu stark erhöht war und die Fluth eine ungewöhnliche Höhe erreichte, natürliche Be- dingungen ein, welchen die sorgfältigste Pflege nicht mehr Trotz zu
v. Richthofen, Schantung. 4
cq Kap. II. Natürliche Besehaffenheil von Schantung.
bieten vermochte. Es giebt auf der Erde kein zweites Beispiel eines in ahnlicher Weise sich verhaltenden Stromes. Mit Unrecht hat man das Gebiet zwischen den änssersten von ihm eingeschlossenen Laufen, welche etwa 6 Breitengrade von einander entfernt sind, mit einem Stromdelta verglichen. Es ist davon weit entfernt; denn in schnellem Lauf eilt der Gelbe Fluss hinab, bis dahin, wo ihm die Fluth des Meeres entgegentritt. Bis zu dieser Stelle giebt es in seinem Lauf nichts von Stillstand des Wassers und Delta-Verzweigung.
Seit 700 Jahren hat der Gelbe Fluss die Flanken des Berg- landes von Schantung, die er früher zeitweilig bespülte, zum aus- schliesslichen Schauplatz seiner Thätigkeit gewählt. Er fliesst ost- wärts bis in die Nähe der Stadt Kaiföngfu. Von dort wandte er sich 1194 nordöstlich und wälzte sich in das Bett eines in der ältesten Geschichte genannten Flusses, des Tsihö, dem er bis zum Meer folgte. Dann, etwas vor 1300, wandte er sich südöstlich und traf den unteren Lauf des rhvai, mit dem er sich nun ver- einigte. In dieser Gegend blieb die Mündung bis zum Eintritt der jüngsten Aenderung. Um 185 1 brach der Strom am Drachen- thor bei Kaiföngfu aus und nahm abermals seinen alten Lauf zum Bett des Tsihö, welcher jetzt als Ta-Tsinghö bezeichnet wurde. Mehr als 550 Jahre hatte er zur Auffüllung des Aeusseren Gelben Meeres beigetragen, wo sein Einfluss sich bis nach Korea und den Tschusan- Inseln geltend machte. Seitdem ist die ab- setzende Thätigkeit wieder dem Inneren Gelben Meer im Norden der Halbinsel Schantung zugewandt. Die Bai von Kiautschou er- hält daher bei der Fluth nicht mehr einen Andrang des lehmigen Wassers, das früher zur Sedimentbildung beigetragen haben mag.
Noch ein Faktor hat bei der Gestaltung der Oberfläche der Grossen Ebene mitgewirkt. Gehen wir wieder auf die Vorzeit zu- rück. Damals boten die ausgedehnten Gefilde jedenfalls das Bild einer üppigen weiten Grassteppe, die im Sommer Regen erhielt und im Winter vorwaltend trocken war. Wenn dann in dem Halbjahr der letzteren Jahreszeit die aus dem Inneren von Asien kommenden Winde herrschten, so waren sie oft mit gelben Staub- massen erfüllt, wie sie noch heute zuweilen durch eine Reihe
Bodenfläche von Schantung. 51
wolkenloser Tage die Sonne verdunkeln. Wie jetzt am Ende einer solchen Periode eine messbare gelbe Staubschicht das Land bedeckt, so war es damals. Die Vegetation hielt den Staub fest, und wenn es wieder regnete, so wurde er dem Boden einverleibt. 1 dadurch wuchs dieser, es bildete sich eine Schicht von Löss, demselben Löss, welcher sich über das nordwestliche China in sehr viel grösserer Mächtigkeit ausbreitet. Es scheint, dass diese Schicht die Ebene überall bedeckt, wo nicht Stromfluthen sie weggespült haben; wir werden sie auch als ein charakteristisches Merkmal in grossen Theilen des ebenen und des bergigen Landes von Schantung finden. So wechselt in der Ebene höherer Grund, der eine massig dicke Lössdecke trägt, mit Alluvien der fliessen- den Gewässer.
Dies ist in Umrissen die Entwickelungsgeschichte jener >sen Ebene in China, deren Kenntniss bei der Betrachtung von Schantung unumgänglich erforderlich ist. Noch ist diese Kenntniss unvollkommen; denn Wenige haben die Ebene forschend durchzogen, und sie haben meist Probleme verfolgt, die mehr mit den hydrographischen Verhältnissen, als mit dem Charakter des Bodens zusamenhängen.
Einige Bemerkungen über Bodenbildung und örtliche Ueber- schwemmungen werden später bei Gelegenheit eines Ausfluges von Tsinanfu foleen.
B o d e n f 1 ä c h e von Schantung.
Die Provinz Schantung, als politische Einheit, begreift das ganze Bergland, bis auf die Enden einiger südlicher Ausläufer, und einen nach aussen sehr unregelmässig begrenzten Theil der es im Westen um- hüllenden Ebene. Auf die Entstehung der sonderbar geformten Grenz- linie komme ich im dritten Kapitel zurück. Das Areal der Provinz wird verschieden berechnet. Wells Williams nahm (1853) in seinem Middle Kingdom < 169 OOO qkm an; I lanemann in Gotha setzte nach unvollkommener Messung (1873) die Zahl auf 1 39000 herab; Trognitz erhöhte sie wieder auf 150 000; General Strelbitsky fand
C2 Kap. IL Natürliche Beschaffenheit von Schantung.
(1889) durch Messung 144000; Fauvel kam (1892) auf nur 121 130. H. Wagner hat in seine statistischen Tabellen die Zahl von 145 000 qkm eingesetzt. Einen Anspruch auf Richtigkeit hat keine dieser Zahlen; denn man kennt zwar die Küstenlinie der Halbinsel, aber die Zeichnung der Landgrenzen gegen andere Provinzen beruht auf den sehr roh entworfenen chinesischen Karten. Wurden auch diese von den Jesuiten betreffs der geographischen Lage von Punkten berichtigt, und die Linien nach den Punkten zurechtgeschoben, so sind doch die letzteren nicht durch Aufnahme festgelegt worden. Es wird lange währen, bis sichere Zahlen ge- geben werden können. Bis dahin halten wir uns an die Mittel- zahl von H. Wagner. Von dem genannten Areal entfallen unge- fähr 82000 qkm oder 56 Prozent auf das Bergland, wenn man ihm die flacheren Gebiete in seinem Inneren und die hügeligen Randgebiete zurechnet; der Rest ist der zu Schantung gehörige Theil der Grossen Ebene.
Das Bergland in diesem Sinn erfüllt die Halbinsel ; nur dort, wo sie aus der allgemeinen Küstenlinie herausspringt, legt sich an der Nordwest-Seite noch ein Stück Schwemmebene an. Man erkennt sie aus dem Kontrast des glatten Verlaufs der Grenze zwischen Meer und Land in diesem Theil gegen die stark ein- gebuchtete und im Einzelnen durch kleine Vorsprünge sehr zier- lich gegliederte Küste, welche sonst die Halbinsel umzieht. Das Bergland ist äusserst unregelmässig in Anordnung, Gestalt und Höhe, und unterscheidet sich wesentlich von dem Gebirgsland des mittleren und südlichen China, welches fast allenthalben einen hohen Grad von Gesetzmässigkeit zeigt. Sehr bemerkenswerth ist seine Trennung in zwei ganz verschiedene Gebiete durch eine Linie, die, nahe der Ansatzstelle der Halbinsel, von Nord nach Süd gerichtet ist und durch das Thal des Wei-Flusses bezeichnet wird. Der östliche Theil erinnert in seinem ganzen Charakter an das gegenüberliegende Liautung. Der westliche bietet im geolo- gischen Bau manche Anklänge an die Provinz Schansi, aber orographisch weicht er davon ab durch die Zerstückelung in einzelne Gebirgsglieder und die Regellosigkeit in deren An- ordnung.
Innerer Gebirgsbau.
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Grundzüge des inneren Gebirgsbaues.
Ehe wir näher betrachten, wie die Gebirge von Schantuns- angeordnet sind, wird es zweckmässig sein, die Gesteine und Formationen kennen zu lernen, aus denen sie bestehen. Wir er- halten damit zugleich einen Schlüssel für das Yerständniss der Berge und ihrer Formen.
/. Der Unterbau oder das Grundgerüst.
Schon das ungeübte Auge wird in der Architektur der Berge von Schantung häufig einen Unterbau und einen Oberbau unterscheiden können. Dies ist der vornehmste Grundzucr Der Unterbau ge- hört dem archaischen Zeitalter, d. h der Urzeit in der Erd- geschichte an, der Oberbau ihrem Alterthum oder dem paläozoischen Zeitalter. Ersterer besteht zum grossen Theil aus Gneiss, der in Granit übergeht. Mari darf diesen Gneissgranit oder Urgneiss für einen Theil der ursprünglichen Erstarrungsrinde der Erde an- sehen, und er wird in der That von der Mehrzahl der Geologen dafür gehalten. Es ist ein Gestein, das dem Granit nahe verwandt ist, sich aber dadurch von ihm unterscheidet, dass der Glimmer die Neigung hat, sich in parallelen Lagen anzuordnen. Dies ge- schieht manchmal in sehr vollkommener Weise, so dass man einen typischen Gneiss vor sich hat, dann wieder so unvollkommen, dass die Neigung zu einer parallelen Struktur in kleinen Stücken gar nicht mehr zu erkennen ist und erst in grossen Entblössungen hervortritt. Es kommen aber auch Einschaltungen von schwärz- lichen Schiefern vor, welche sich durch einen reichlichen Gehalt an Hornblende auszeichnen. So deutlich, wie hier, sind diese Gesteine, wo sie sich sonst auf der Erde finden, selten als das älteste Formationsglied nachweisbar. Wo es der Fall ist, gewahrt man in der Regel, dass auf weite Entfernungen hin die Streichrichtung der Schieferung über grosse Areale auffallend constant bleibt. Dies ist auch hier der Fall. Die Richtung Südsüdost — Nordnord- west (genauer S 300 O — N 300 W) ist in Schantung und Liautung verbreitet. Dabei ist der Gneiss immer steil gestellt. Auf grosse Strecken ist die Neigung der Strukturflächen nach Südwest, dann
- | Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantnng.
wieder wird sie Nordost. Die Vorgänge, welche dieser Gleich- förmigkeit der Ausbildung und der Richtung zu Grunde liegen, sind noch räthselhaft. Eine neue Andeutung zu ihrer Lösung giebt Dr. Erich von Drygalski in seinem so eben (1898) erschienenen grossen Werk über Grönland. Bei seinem langen Aufenthalt daselbst war ihm die Analogie der Struktur von Gneiss und grönländischem Inlandeis aufgefallen, den beiden Gebilden, welche dort fast allein einen fortdauernden Gegenstand der Be- obachtung bilden. Er wagt den kühnen Schluss, dass die Ent- stehung des Urgneiss einer Zeit angehört, in welcher die Silikate, die seine Bestandtheile bilden, flüssig waren, in Dampfform in die Atmosphäre aufsteigen und durch Abkühlung kondensirt werden konnten, um als Silikatregen oder Silikatschnee niederzufallen. Bei fortschreitender Abkühlung würde die Ablagerung sich, ähnlich wie das Eis der Glacialzeit, zu mächtigen Decken angehäuft haben, und in diesen Decken würden Bewegungen und Druckwirkungen stattgefunden haben, vergleichbar denen, welche jetzt in verhältniss- mässig diminutivem Maassstab im Grönlandeis erkennbar sind. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in dieser geistvollen Hypothese ein Schlüssel zur Lösung des grossen, für die frühe Erdgeschichte und die Gesteinsbildung gleich wichtigen Problems gegeben ist. Aus den ausserordentlich langen Zeiträumen, welche zwischen der Entstehung des Urgneiss und dem ersten nachweisbar auf- tretenden organischen Leben auf der Erde verflossen sind, giebt es im nördlichen China eine grosse Reihe von Ablagerungen, deren gegenseitiges Altersverhältniss sich an einigen Stellen augen- fällig erkennen lässt. In Schantung kommt zunächst eine gewaltige Schichtenreihe vor, die sich auf dem Gneiss in ganz ungleich- förmiger Auflagerung abgesetzt hat und, von deren Einförmigkeit weit entfernt, aus einer grossen Mannigfaltigkeit von Gesteinen besteht. Es sind Gebirgsarten, die am meisten an die der Tauern erinnern, insbesondere an die, welche man beim Aufstieg vom Zillerthal nach der Berliner Hütte beobachtet. Die Glimmerschiefer, die schönen Strahlsteinschiefer, Hornblendeschiefer, Chloritschiefer, die dort eine bunte Musterkarte bilden, sind auch hier vorhanden, und, wie dort, sind Kalksteine in Gestalt von Marmor eingelagert.
Du Grund^erü-t im GebirgBban. r :
In dem unteren Theil walten noch Schiefer vor, dann beginnen erst wenige Kalkstein-Einlagerungen in dünnen Zwischenschichten, dann werden sie nach oben hinauf immer machtiger, und es bestehen kleine Berge ganz aus Marmor, so z. B. der Kingsunschan 25 km nordwestlich von Tschifu, in welchem Bleierze vorkommen. Mit dem Marmor findet sich auch Speckstein in dicken Massen.
Diese ganze Formation hat eine Mächtigkeit von mindestens 3 bis 4000 Meter. Da es zweckmässig ist, ihr behufs ihrer weiteren Anführung einen Namen zu geben, so werde ich sie als die Lai- Formation bezeichnen. Sie scheint in Ost-Schantung grössere Verbreitung zu haben. An der Südküste kommt an verschiedenen Stellen weisser Marmor vor, der ihr zuzurechnen sein wird. Ver- muthlich stammen aus ihr auch Erze verschiedener Metalle, welche, abgesehen von dem schon genannten Bleiglanz, in Schantung vor- kommen sollen. Wo ich die Lai-Formation gefunden habe, nämlich zwischen Laitschoufu und Tschifu, lagern ihre Schichten in Gestalt von Mulden, die in ihrer Gesammtheit, ebenso wie die einzelnen Schichten, die Streichrichtung WSW — ONO haben, Es geht daraus hervor, dass eine in sehr tiefem Meer allmählich abgesetzte Formation nachträglich nach dieser Richtung zusammengepresst worden ist. Dies konnte nicht geschehen, ohne dass die ganze Urgneiss-Unterlage derselben Pressung unterworfen wurde, und in der That sind hier ihre Streichrichtungen verworren. Bald erkennt man noch die ursprüngliche Richtung XXW — SSO, bald kommen andere zur Geltung, welche die Theilnahme an der Faltung bekunden.
Xoch eine dritte Formation geht im nördlichen China dem nachweisbaren organischen Leben voran. Sie besteht aus Trümmer- Ablagerungen, oder sogenannten klastischen Sedimenten. Theils sind es Konglomerate von Rollsteinen, theils grauwackenartige Sandsteine, theils thonige Schichten, die immer von Chlorit grün gefärbt sind und der ganzen Formation diese Farbe mittheilen. Ich habe sie nach einem sehr bekannten, an Lama -Tempeln reichen, hoch aufragenden Gebirge, dem Wutaischan im nördlichen Schansi, die Wutai-Formation genannt. Dort liess sich ihr geologisches Alter genau feststellen. Ganz analoge Bildungen aus
rfi Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantung.
derselben Zeit sind die Torridon- Sandsteine von Schottland und die algonkische Formation der Vereinigten Staaten: Ich habe sie später im westlichen China gefunden, und in sehr grosser Ver- breitung wurden sie dort nachmals durch den ausgezeichneten ungarischen Geologen, Professor von Löczy aus Budapest, nach- gewiesen. Diese Schichten geben Zeugniss von grossen Gebirgs- Zerstörungen durch messende Gewässer, welche während langer Perioden die losen Trümmermassen nach den Tiefen herabführten, wo sie abgelagert wurden. Es ist nicht sicher, ob diese Formation in Schantung vorkommt; ich glaube, ihr mächtige Sandsteine zurechnen zu müssen, die in stark gestörter Lagerung den Tschangschan, nicht weit von Poschan, aufbauen. Vermuthlich gehören ihr auch verfestigte Sandsteine und Quarzite an, welche im östlichsten Theil von Schantung eine erhebliche Verbreitung zu haben und dort z. B. den zackigen Kamm des Kunlunschan zusammenzusetzen scheinen.
Zu diesen Formationen des Grundgerüstes kommen noch Ausbruchsgesteine. Das vornehmste unter ihnen ist ein ausser- ordentlich schöner Granit, auf dessen Bruchflächen tafelartige Feld- spathkrystalle von 4 bis 6 cm Durchmesser glänzen. Das Gestein erinnert an den berühmten Granit von Finnland, der als Rapakiwi bekannt ist, und dessen Blöcke durch das Eis eine weite Ver- breitung über Russland gefunden haben. Ich habe es Korea- Granit genannt, weil ich es in Liautung an der Grenze von Korea am grossartigsten ausgebildet fand. Dort bildet dieser Granit gewaltige, kastellartige Bergkolosse, wie den Fönghwangschan (Phönixberg), mit abenteuerlichen Umrissen. Aehnlich, wenn auch weniger grotesk, sind seine Formen in Schantung. Ich fand ihn aber nur im östlichen Theil der Provinz, nicht weit westlich von Tschifu.
Dann sind noch andere Ausbruchsgesteine, nämlich dunkel- farbige, überaus zähe Gesteine zu nennen, für die ich den früher von mir gebrauchten Namen Hyperit beibehalten will. Ich werde sie in der Nähe von Tsinanfu zu erwähnen haben. Das Alter liess sich nicht festsetzen; aber die Gesteine sind dort bemerkens- werth, einerseits wegen der Glockenform der von ihnen gebildeten
Unterbau und Oberbau der Gebirge.
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isolirten Hügel, andererseits, weil sie bei dem Durchbruch durch Kalkstein eine umändernde Wirkung in diesem hervorgebracht haben. Die Kalksteine sind voll von Mineralien, die sich in solchem Kontakt zu bilden pflegen, darunter Eisenerze, die von Bedeutung sein können.
Alle diese Formationen des archaischen Zeitalters bilden zusammen das Grundgerüst des geologischen Baues von Schantung. Wie überall, so vermögen wir uns auch hier keine Vorstellung zu machen von den gewaltigen Vorgängen, welche durch eine lange Zeit geherrscht haben, ehe das nächste Zeitalter nachweisbar anbricht. Wohin wir auf der Erde blicken, finden wir zwischen beiden eine grosse zeitliche Lücke, nirgends einen Uebergang, und diese Lücke ist ausgefüllt durch die grossartigsten Umwälzungen. Alles, was das Grundgerüst zusammensetzt, war einst zu mächtigen Gebirgen erhoben; die Schichten sind fast überall steil gestellt, zusammengeschoben und gefaltet. So auch hier. Und mit diesen Vorgängen sind in Schantung Aufspaltungen verbunden gewesen. Denn sämmtliche genannte Formationen, mit Ausnahme des Hyperits, sind durchsetzt von einem Geäder von Gängen von Quarz und einem anderen häufigen Ganggestein, dem Schrift- granit, welcher grosse Feldspathkrystalle so von Quarz durch- wachsen zeigt, dass die glänzenden Spaltungsflächen wie mit kantigen Schriftzeichen bedeckt erscheinen. Es kommen dazu Tafeln von Glimmer und Krystalle von schwarzem Turmalin. Diese Gänge, bald mehr, bald weniger gedrängt, sind höchst charakteristisch für den Unterbau in Schantung, Liautung und Liauhsi, dem jetzt von der Eisenbahn durchzogenen Küstenland zwischen Schanhaikwan und Mukden.
'2. Der Oberbau.
Dieses Grundgerüst, obwohl ehemals in hohen Gebirgen aufragend, ist doch glatt abgeschliffen. In einer nicht ganz ebenen, sondern zuweilen etwas ansteigenden, dann wieder mit flachkuppigen Aufragungen unterbrochenen Fläche sind die Schichten abgeschnitten, welche einst grosse Wölbungen darüber bildeten.
cg Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantung,
Und darauf sind ganz horizontal die plattenartig ausgebreiteten
Schichten des Oberbaues abgelagert. Diese haben im nordlichen China keine Faltung erlitten.
Zweierlei Kräfte allein sind im Stande, solche Abhobelung gebirgiger Theile der Erdoberfläche herbeizuführen, nämlich einer- seits die Kräfte, welche die Gebirgsmassen an der Aus.senseite lockern und die gelockerten Trümmer hinwegführen, also alle die, welche an der Erniedrigung und Zerstörung unserer Hochgebirge unablässig arbeiten und das Streben haben, das Ueberragende nach tieferen Regionen und schliesslich nach den Meeresbecken zu führen. Andererseits die Kräfte der brandenden Meereswelle, welche schneller wirken können, indem sie ein Gebirge von beliebiger Höhe ent- lang einer Linie in einem gewissen Niveau angreifen und eine horizontale Fläche hineinschneiden, durch welche die darüber be- findlichen Massen die Stütze verlieren und herabstürzen, um alsbald von der Brandung zertrümmert und in Trümmern zum Theil an Ort und Stelle abgelagert, zum Theil weggeführt zu werden. In Zeitaltern eingreifender Aenderungen, die eine grössere Intensität und Beschleunigung der Vorgänge von Hebung und Senkung grosser Theile der Erdrinde erkennen lassen, als in ruhigeren Zwischenperioden der Erdgeschichte stattgefunden haben, musste der Meeresstand ebenfalls Schwankungen unterliegen; periodisch musste die Brandung bald allmählich und schrittweise in höheres Niveau verlegt werden, bald ebenso zurückschreiten. Im ersten Fall setzte die Arbeit des Einschneiden einer Fläche in den Gebirgs- körper landeinwärts fort; neue Massen kamen zum Herabfallen, zur Zertrümmerung und Fortführung. Dieser Vorgang ist selbst in der heutigen, durch grosse Ruhe in der Erdrinde ausgezeichneten Zeit deutlich zu beobachten. Er ist, wenn auch jetzt nur in relativ kleinem Maassstab, kenntlich an vielen, durch felsige Steilabbrüche ausgezeichneten Küsten. Wo er in bewegteren Perioden gewaltig einsetzte und in gleichem Sinn fortwirkte, da konnte eine allmählich ansteigende Fläche dort entstehen, wo sich vorher ein Gebirge er- hoben hatte. Ging hingegen der Meeresstand herab, so zog sich die Brandung auf der geschaffenen und mit Trümmermassen bedeckten Flache ohne die Fähigkeit zu besonderer Umgestaltung zurück.
I>ic Sinische Formation.
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Dies ist der Vorgang der Abrasion. Es würde zu weit fuhren, hier auseinanderzusetzen) weshalb er zur Erklärung der Abhobelung
rneisses am meisten für sich hat Im ganzen nördlichen China wurde die Abrasionsfläche auf dem Grundgerüst nach und nach geschaffen; das Meer vollzog den zerstörenden Vorgang in langen Zeiträumen und ebnete nach und nach grosse Regionen ein. Die Trümmer wurden auf den tiefer gelegenen, versenkten Theilen der Fläche selbst abgelagert. So kommt es, dass dort, wo die Abrasion früh begann, die Ablagerungen mit älteren Schichten anfangen, während dort, wo sie später eintrat, nur die Schichten einer später folgenden Zeit als die untersten auftreten konnten. Alles dies lässt sich in Schantung beobachten, wenn man die deutlich aufgeschlossene Auflagerung der Schichtmassen auf dem abgehobelten Grundgerüst von Stelle zu Stelle verfolgt.
Die Schichtgebilde, die nun in grosser Mächtigkeit zur Ab- lagerung kamen, gehören der Cambrischen Formation an, welche in China besser als die Sinische Formation bezeichnet wird, so lange noch nicht eine vollkommene Uebereinstimmung mit der Cambrischen Formation in Kuropa und Amerika bezüglich der Grenzen nach unten und oben erwiesen ist. In diesen Schichten, und zwar schon hoch hinauf, findet sich in Liautung ein sehr grosser Reichthum an Versteinerungen. Sie gehören einer Thier- welt an, welche die ältesten bekannten Lebewesen auf der Frde darstellt und daher die Primordial-Fauna genannt wird. Herr Professor Dames hatte die Güte, die von mir mitgebrachten Ver- steinerungen zu bestimmen, und das Alter ist von dem ausge- zeichneten Paläontologen unzweifelhaft festgestellt worden.
Diese Schichten sind von sehr verschiedener Art. Zu unterst herrschen durchaus klastische Sedimente, d. h. solche Schicht- gesteine, welche aus der Zertrümmerung von anderen Gesteinen hervorgegangen sind; sie beginnen gewöhnlich mit den gröberen Abänderungen, nämlich theils Konglomeraten von Gerollen, theils Sandsteinen; dann erst folgen feinerdige, thonige Schichten, und mit ihnen wechseln Kalksteine. Dies setzt durch Tausende von Füssen in der Mächtigkeit so fort. Weiter hinauf folgen mehr ausschliesslich Kalksteine; sie werden zuweilen thonig, oder ent-
ßo Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantung.
halten thonige Zwischenschichten. In diesen kommen die genannten
Thierreste vor. Es sind besonders die frühesten Formen der für das Alterthum der Erde überhaupt charakteristischen krebsartigen Trilobiten. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass man die Ver- steinerungen auch in Schantung finden wird. Ich reiste zu schnell und hatte das Auge für die mir neuen Schichtgesteine noch nicht hinreichend geübt. Die Kalksteine, in denen sie sich finden, sind dunkelgrau und haben durch die Fülle kleiner, noch dunklerer rundlicher Körnchen in ihnen ein eigenthümliches rogenartiges Gefüge. Ich habe sie als globulitische Kalksteine bezeichnet. Es sind darunter Abänderungen, die einen vorzüglichen Quaderstein für architektonische Zwecke abgeben und dafür weite Verwendung in der Gegenwart finden. Ich habe ihrer bereits (S. 37) gedacht; sie werden auch für die Bauten in Kiautschou von Wichtigkeit sein.
Die Sinische Formation ist für beinahe ganz China höchst charakteristisch. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen; nur sei noch erwähnt, dass, je weiter hinab, desto mehr Ungleichheiten von Ort zu Ort in der Ausbildung der Gesteine vorhanden sind, je höher hinauf, desto gleichförmiger sie über weite Gebiete ver- breitet sind. Eine Reihe sehr besonderer Schichten, die vielleicht Ablagerungen eines tiefen Meeres darstellen, schliessen diese Schichtmassen ab.
Da bisher in Schantung keine Schichten gefunden worden sind, welche den Perioden des Silur und des Devon entsprechen, so folgt der Altersstufe nach sofort die Steinkohlen-Formation, d. h. Ablagerungen aus derselben Zeit, in der die grossen Kohlen- felder von England, Deutschland und den Vereinigten Staaten gebildet worden sind. Diese durch thierische Versteinerungen und pflanzliche Reste fast immer leicht nachweisbare Formation ist in China sehr verbreitet. Aber nicht überall ist sie in gleicher Weise ausgebildet, d. h. in einer und derselben Zeit wurden nicht allenthalben die gleichen Sedimentgesteine abgelagert. In einigen Regionen walten Kalksteine in den unteren Theilen vor, in anderen herrschen sie nach oben. Im Allgemeinen kann man dem Alter nach zwei Abtheilungen unterscheiden. Auch in Schantung lassen sie sich erkennen; doch sind sie weder scharf getrennt, noch bieten
Die Steinkohlenform 61
sie unmittelbar in die Augen fallende Unterscheidungsmerkmale
dar; denn wahrend der ganzen Periode fanden in dem Gebiet von Schantung Wechsel der Verhältnisse in häufig gleichmässig wieder- kehrendem Sinne statt. Bald waren es Massen von Sand und Thon, die in weit ausgebreitete seichte Gewässer gelangten und dort niedergeschlagen wurden, bald entstanden Kalksteine in ebenso weiter horizontaler Ausbildung und legten sich als eine gleich- massige Schicht auf die thonig-sandigen Gebilde; dann folgen wieder diese, und so geht es fort. Der untere Theil beginnt mit Kalkstein, der mehrere hundert Meter mächtig ist. Darüber folgen klastische Sedimente, und sie werden weitaus vorherrschend; aber es sind ihnen noch immer einzelne Kalkbänke eingelagert, die zuweilen bis 30 Meter und mehr Mächtigkeit erreichen können. Die Kalksteine, auch wo sie in dünnen Schichten auftreten, ent- halten nur Meeresversteinerungen. Die thonig-sandigen Schichten zeigen im Allgemeinen nichts Augenfälliges von organischen Resten; aber in ihnen sind Steinkohlenflötze eingelagert, die fast immer von dünnen Schichten dunklen, schieferigen Thons begleitet sind; in diesen finden sich pflanzliche Reste. Es sind Blätter der überall mit der Steinkohle vorkommenden Landpflanzen. Ich habe sie leider in Schantung nicht sammeln können, weil ich bei meiner flüchtigen Durchreise keine günstigen Verhältnisse dafür fand. Theils hinderte mich daran der Andrang der Menschen, theils, wo die Gelegenheit vorhanden war, das Zerfallen und Zerbröckeln der Schiefer, die lange an der Luft gelegen hatten.
Nach oben stellt sich noch eine Aenderung ein. Es beginnen die Merkmale einer Zeit, in welcher in verschiedenen Regionen von China eine höchst intensive vulkanische Thätigkeit stattgefunden hat. Porphyre gelangten zum Ausbruch, und mit ihnen wurden Aschen und porphyrische Trümmerprodukte weithin in den Schichten ver- theilt. Wahrscheinlich gehören sie der Permischen Periode an, welche auch in einigen Theilen von Europa durch solche Au>bruchsthätigkeit bezeichnet ist. In Südwest-Schantung kommen Steinkohlenflötze in Schichten vor, welche diesen Charakter tragen. Wichtig ist es, dass damit Eisenerze erscheinen. Auch ist hier und da noch eine Kalksteinbank eingelagert.
52 Kap. II. Natürlich.' Beschaffenheit von Schantnng.
Während die abschliessenden Scbichtgebilde der grossen Sinischen Formation Ablagerungen aus sehr tiefem Meeresgrund darzustellen scheinen, tragen diejenigen der Steinkohlenformation den Charakter von Seichtwassergebilden, wobei aber periodisch die Tiefe wechselte. Kalksteine deuten auf reines Salzwasser und etwas grössere Tiefe, die kohienführenden, klastischen Gesteine auf brakisches oder süsses Wasser und geringe Wassertiefen. Die Verhältnisse bieten hier, wie überall, ungelöste Räthsel.
Mit den Ablagerungen, die wir als wahrscheinlich permisch bezeichneten, schliessen die alten Formationen ab. In den be- nachbarten Provinzen haben sich sandige Gebilde noch durch lange Zeit abgesetzt, aber nichts deutet auf die Anwesenheit des Meeres.
Die Mächtigkeit der gesammten Steinkohlen-Formation ist in Schantung bedeutend, doch ist es mir nicht gelungen, ihren Be- trag auch nur annähernd zu schätzen. Mit ihr enden die Ab- lagerungen die den Oberbau zusammensetzen.
3. Weitere Umgestaltungen.
Es hatte sich gezeigt, dass das archaische Grundgerüst aus- geglättet worden ist, und auf der Abrasionsfläche, während sie noch im Entstehen und langsamen Anwachsen begriffen war, die sinischen Schichten sich absetzten, so dass die ältesten von diesen nur auf den zuerst versenkten Theilen zur Ablagerung kamen und die höheren eine grössere und grössere Verbreitung mit dem An- wachsen des vom Meer bedeckten Raumes erhielten, bis endlich die höchsten sich über grossen Arealen gleichmässig absetzten. Im Allgemeinen folgen dann im nördlichen China die Gebilde der Steinkohlenformation, meist mit Kalkstein, also einem Gebilde grösserer Meerestiefe, beginnend. Das Fehlen der in Europa und anderwärts ungemein entwickelten Schichtgebilde aus den langen Perioden des Silur und Devon habe ich dadurch zu erklären ge- sucht, dass während dieser Zeit das nördliche China sehr tief unter der Meeresfläche lag, so tief, dass keine Ablagerungen von grösserem Betrag stattfinden konnten, und dass dann, durch He- bung des Meeresgrundes oder andere Ursachen, wieder eine ge-
Irung der Gebii 63
ringere Tiefe eintrat, die den Absatz von Kalkstein ermöglichte, und durch Fortdauer desselben Vorgangs der Zustand geschaffen wurde, bei dem die sandig- thonigen Ablagerungen geschehen konnten. Dann wurde das ganze nördliche China Pestland und ist es von da an immer geblieben. Niemals wieder hat eine Meeres- bedeckung stattgefunden.
Wenn diese Erklärung, die mit den Thatsachen nicht in Widerspruch steht, richtig ist, so haben wir uns vor Schluss des paläozoischen Zeitalters in der Erdgeschichte das östliche Asien, einschliesslich eines wahrscheinlich grossen, seewärts über die jetzige Festlandsgrenze hinaus sich erstreckenden Gebietes, als eine weite, flache, in der Hodengestalt etwa dem heutigen Russland zu vergleichende Tafel vorzustellen, deren sehr mächtige, der cambrisch- carbonischen Zeit angehörige Schichtmassen sich eben- flächig über der abradirten und ausgeglätteten, aber keineswegs ebenen Oberfläche des Grundgerüstes ausbreiteten.
Aus diesem Zustand ist durch weitere Umgestaltung das wechselvolle, heutige Ostasien entstanden. Die Vorgänge, welche dazu geführt haben, beruhen einerseits in der Wirkung tellurischer Kräfte, das heisst solcher Kräfte, die in der Erde selbst ihren Sitz haben und sich aus der fortschreitenden Abkühlung des Erdballs und der Wärmevertheilung in der Erdrinde erklären lassen, andererseits in der Ausmodellirung der Oberfläche durch von aussen wirkende Kräfte, welche sich auf die Umsetzung der Warme der Sonnenstrahlen in verschiedenartige Formen der Arbeit zurückführen lassen. Die wichtigsten dieser Arbeitsformen sind: die Verwitterung der Gesteine und die raumliche Umsetzung des gelockerten Materials durch fliessende Gewässer, während die durch tellurische Kräfte hervorgebrachten Umgestaltungen in dem Heben und Senken einzelner Theile der Tafel bestanden haben. Dabei konnten entweder die horizontalen Raumverhältnisse un- gefähr dieselben bleiben, oder es konnte ein Zusammenschieben auf einen kleineren Raum stattfinden. Diese beiden principiell verschiedenen Gestaltungsformen bezeichnen den Unterschied zwischen dem nördlichen und dem südlichen China. Wiederum bildet die Linie des Kwenlun mit ihrer Verlängerung im Tsing-
(,i K.i)>. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantang.
lingschan und Hwaigebirge die Grenze. Alles was südlich von ihr liegt, insbesondere das ganze mittlere und südliche China, ist gefaltet und zu hohen Gebirgen aufgethürmt worden, die durch äussere Agentien, vor Allein tue erodirende Thätigkeit des flie- ssenden Wassers, aber auch durch beckenartiges Einsinken ein- zelner Gebiete und Aufnahme mächtiger Sedimente in Binnen- seen, weitere Ausgestaltung erfahren haben.
Nördlich von der genannten Linie hat ein Zusammenschieben und eine Faltung nicht stattgefunden. Aber wir sehen nicht mehr eine einförmige Tafel, sondern ein wechselvolles Relief. Das Grundgerüst, das, von dem mächtigen Oberbau verdeckt, in der Tiefe liegen sollte, bildet hohe Gebirge, während die obersten, die Steinkohlenflötze führenden Schichtmassen zum Theil tief her- abgesenkt sind. Wir erkennen im nördlichen China das Zerlegen einer grossen Tafel in einzelne Schollen, welche vertikale Ver- schiebungen gegen einander erlitten haben. Einen dieser Brüche, der über das grosse Scheidegebirge hinweg bis in das mittlere China hinein zu erkennen ist, haben wir (S. 46) erwähnt. Es ist der, welcher zur Entstehung der Grossen Ebene Anlass gab. Doch giebt es auch Brüche geringeren Grades, in Abstufungen hinab bis zu sehr kleinen. Stets sind sie mit Verschiebungen in der Vertikale, zuweilen auch in der Horizontale, verbunden; aber die Schichtmassen bewahren den Charakter ebenflächiger Aus- breitung. Es haben sich daher Tafelflächen gebildet, die horizontal oder unter verschiedenen Winkeln geneigt sein können.
Dies sind die Verhältnisse, die wir auch in Schantung finden ; sie machen es zweifellos, dass die Provinz geologisch zum nörd- lichen China gehört. Nur aus ihnen heraus können der Gebirgs- bau überhaupt und die Art der Lagerung der Kohlenfelder ver- standen werden.
Eines Bruches innerhalb der Provinz haben wir bereits (S. 52) gedacht; es ist der, welcher den östlichen und den westlichen Theil des Berglandes scheidet. Im östlichen waltet in Folge der Fort- führung des Oberbaues das Grundgebirge vor; im westlichen sind die aufgelagerten Tafeln grossentheils erhalten. Hier aber hat eine Zerlegung in eine grössere Anzahl kleiner Schollen stattgefunden,
Schollengebirge von West •Schantung. (yc
die sämmtlich nicht mehr horizontal liegen, sondern gegen einander so verschoben worden sind, dass fast jedesmal der südliche oder südwestliche oder südöstliche Rand gehoben und die aufgelagerte Tafel unter geringem Winkel nach Nordost oder Nord oder Nord- west geneigt i>t. Waren alle Schichtgebilde der Tafelmassen er- halten, so musste die Steinkohlenformation, als deren oberstes Glied, das ganze nördliche China, daher auch die Provinz Schantung, be- decken. Aber die denudirenden Agentien haben in den langen Zeit- räumen, in denen sich in Europa die Formationen der Trias, des Jura, der Kreide und des Tertiär ablagerten, grosse Arbeit gethan. An den gehobenen Kanten der einzelnen Schollen wurden in der Regel alle Sedimentgebilde fortgeführt, so dass dort das Grundgerüst häufig nicht nur die Flanke, sondern auch die First einer Scholle bildet, und von der Tafelfläche der letzteren wurde die Steinkohlen- formation nebst einem beträchtlichen Theil der sinischen Gebilde weggeführt, so dass nur diese, und auch sie nur unvollkommen, er- halten sind. Andere Theile von Nord-China sind mehr bevorzugt. Denn wo die Schollen ausgedehnt sind und horizontal liegen, wie in Schansi, war Alles bis zur Steinkohlenformation hinauf besser ge- schützt und konnte in grösserem Umfang erhalten bleiben. In Schan- tung ist diese nur dort noch vorhanden, wo sie so tief herabge- sunken ist, dass die denudirenden Gewässer ihr nichts anhaben oder nur einen Theil entfernen konnten. So kommt es, dass wir sie nur sporadisch finden. Am Nordrand des Gebirges haben Absenkungen in kleinen, rundlichen Becken stattgefunden; das sind dort die Koh- lenfelder. Im Südwesten fand die Absenkung an einem langgedehn- ten Bruch statt; eine grössere Scholle ruht in der Tiefe, daher ist hier das .Areal der Steinkohle ein grösseres.
Diese einfachen und leicht verständlichen Verhältnisse machen es unschwer, die Grenzen der Steinkohlenformation festzusetzen. Wer sie genau festzulegen unternimmt, muss sich mit der Sinischen Formation bekannt machen, welche die Becken umgiebt, um zu wissen, wo Steinkohle nicht mehr vorkommen kann.
4. J)i> letzten Vorgänge.
Es wird sorgfältiger Untersuchung bedürfen, um zu erkennen, in welchen Zeiten sich diese grossen tektonischen Aenderungen
v. Richthofcn, Schantung. 5
f-fi K:ip. II. Natürliche I>« •sdialVi-nheit von Schantung.
zugetragen haben. Wahrscheinlich sind sie das Ergebniss lange fortgesetzter Vorgänge. Denn die Art, wie im Westen von Peking und im nördlichen Schansi sehr mächtige, aus Binnenseen ab- gesetzte Schichtmassen, welche auch noch werthvolle Steinkohlen- flötze umschliessen, während der Jura-Zeit abgesetzt wurden, macht es unzweifelhaft, dass damals schon beträchtliche Unebenheiten eingetreten waren. Andere Erscheinungen lassen erkennen, dass noch in der Tertiärzeit Ereignisse eingetreten sind, die mit tek- tonischen Aenderungen verbunden waren. Dazu gehören die vulkanischen Vorgänge der jüngeren Zeit. In Schantung haben Ausbrüche am Xordrand des Gebirges stattgefunden. In der Gegend von Tsingtschou und Wei-hsien ist ein grosses Gebiet, wo noch jetzt eine Menge vulkanischer Kegel aufragen. Es sind traehytische Gesteine, mit einem Unterbau von Tuffen. Dann treten bei Töngtschoufu Basalte auf, die sich in Form von Decken ausgebreitet haben. Sie setzen fort in den Miautau-Inseln, die eine Brücke nach Liautung hinüber bilden. An der Westseite dieser Halbinsel kommen ebenfalls Basalte vor, und ich fand eine Reihe vulkanischer Kegel bei Mukden in der grossen Ebene des Liau-Flusses. Fürst Krapotkin hat berichtet, dass bei Mergen in der Mandschurei noch jetzt die vulkanische Thätigkeit fortdauert. Diese Thatsachen deuten auf das Vorhandensein einer grossen Bruchlinie, welcher der Trennungsbruch zwischen West- und Ost- Schantung als ein Glied angehören dürfte. Eine andere grössere Gruppe von Vulkanen findet sich nördlich von Nanking. Sie erstreckt sich von dort nach Nord und endet wahrscheinlich erst im südwestlichen Schantung. Da nun auch in der Bucht von Peking und am Westrand der Grossen Ebene vulkanische Gesteine auftreten, so ist es wahrscheinlich, dass sie mit der Einsenkung des grossen Beckens, über das diese Ebene sich ausbreitet, in ursächlichem Zusammenhang stehen, und dass vulkanische Gesteine, ähnlich wie im pannonischen Becken, an den Gebilden theil- nehmen, die das grosse Bruchbecken in der Tiefe erfüllen.
Unter den sonstigen Vorgängen der jüngsten Zeit sei nur noch der Lössbildung gedacht, d h. der in langen Perioden sich stetig vollziehenden Anhäufung der durch kontinentale Winde
I ><.t äussere Gebirgsbau. 67
zugefuhrtcn Staubmassen, insoweit 3ie von der Vegetation fest- gehalten wurden, wie dies oben (S. 51) auseinandergesetzt worden ist; ferner der Thatigkeit des Gelben Flusses, welcher die besonders BUS dem Löss westlicherer Gegenden stammenden Sand- und Lehmmassen weggeführt und rings um das Bergland von Schantung zur Ablagerung gebracht hat. Die Lössdecke ist charakteristisch für das westliche Schantung. Es bleibt räthselhaft, dass sie sich nach dem östlichen fast rar nicht ausbreitet.
Der äussere Gebirgsbau.
Nachdem wir die am Aufbau des Berglandes theilnehmenden Gesteine und die der heutigen Gestaltung zu Grunde liegenden
änge kennen gelernt haben, können wir mit besserem Ver- standniss auf die Darstellung der Berge und die Anordnung der Gebirge und Bodenformen überhaupt eingehen. Den Ausgang bildet die trennende Bruchlinie. Ich gewahrte sie, als ich den gegliederten Gebirgsbau der Umgegend von Wei-hsien untersucht hatte und an den Rand des Thaies kam, in dem der Weiho von Süden nach Norden fliesst. Die Bodenformen der Westseite waren abgeschnitten. Jenseits war nur flaches Land zu sehen, und als ich es betrat, bestand es nur aus Grundgebirge, alle anderen Formationen der reich zusammengesetzten Westseite waren ver- schwunden. Die Scheidelinie Hess sich nach Süden verfolgen, soweit das Auge reichte; und doch konnte ich noch nicht ahnen, wie verschieden der Bau des Landes, in das ich kam, von dem war. welches ich verliess. Ich betrachte diese beiden Landes- theile gesondert.
/. Ott- Schantung.
i las östliche Schantung besteht weitaus vorherrschend aus Grundgebirge. Die auflagernden Decken sind fast ganz hinweg- geräumt, Steinkohle ist nicht bekannt und wahrscheinlich nicht vorhanden. K> ist ein Land der Kontraste in den äusseren Formen. Massig, aber stark zerschnitten, steigen Gebirge auf,
5*
gg K.ip. IL Natürliche Beschaffenheit von Schantung.
welche nach oben mit stark gezackten Felskämmen endigen. Ich sah dies in dem langen Zug des Lai- Gebirges, und es scheint, dass der Lauschan bei Kiautschou ähnliche Formen besitzt. Auch von anderen Bergen im Osten werden zackige Formen beschrieben, die zu bezeichnenden chinesischen Benennungen, wie ^Hahnen- kammgebirge«, » Sägezahngebirge « , »Pinselständerberg< , Anlan gegeben haben. Es sind die bei der Verwitterung und Denudation stehen gebliebenen Kerne von festem Gneiss. Diese Gebirge erstrecken sich ungefähr von Südwest nach Nordost und sind ungemein augenfällig durch ihre Umrisse. Sie haben die Be- sonderheit, dass sie nicht continuirlich fortstreichen, sondern durch tiefe, quer gerichtete Einschnitte in einzelne Stücke zerlegt werden. Bei dem, wie es scheint, aus mehreren parallelen Kämmen dieser Art bestehenden Lai-Gebirge ziehen Thäler durch diese Lücken und machen sein Inneres für den Verkehr zugänglich. An der Südküste erscheint der zu 1087 m Höhe angegebene Lauschan wie ein Glied in einer Kette von Gebirgsstöcken, welche die Küste begleiten und ebenfalls einer von Südwest nach Nordost gerichteten Gneisszone angehören. Man kann dafür den Namen Lauschan- Kette anwenden. Auch hier beruht die Zerstückelung auf dem Durchgreifen von Thälern. Aber das Meer ist in die unteren Theile der Thäler eingedrungen und greift in Gestalt von Buchten zwischen die Gebirgsstöcke selbst ein. Diese gewähren nur schmale Einfahrten zu den jenseits sich erweiternden Becken. Hierher gehören die Buchten von Tingtszetswi und von Kiautschou. Die letztere ist die grösste. Auch die erstere ist früher als Hafen benutzt worden, und noch steht eine alte Handelsstadt Kinkiakou an ihrem inneren Ende; aber die Versandung, die vielfach an der Küste stattgefunden hat, ist für sie verhängnissvoller geworden, als für das grosse Becken von Kiautschou, in dem die Auf- schüttung noch nicht so weit vorgeschritten ist.
Ein ähnlich zerschnittener Charakter waltet in den Gebirgen des östlichen Theils der Halbinsel. Die Gipfelmassen, die ich im Vorbeifahren vom Schiff aus sah, erheben sich nur 500 bis 600 m, aber ihre Formen sind rauh, hart und abgesetzt. Nach unten werden die Gehänge sanfter; man sieht Dörfer, die sich in den
KiAolai- Becken. 60
Schluchten hinaufziehen. Nur der Kamm des wahrscheinlich quar/itischen Kunlunschaii. der gegen 9OO m Höhe erreichen durfte. uml den ich bei einem Ausflug von Tschifu aus dev Ferne sah, hat wieder zackige und wilde Formen. Auch hier ist kein Gebirge auf grosse Länge gestreckt; soweit ich mir aus den spärlichen Beschreibungen ein Bild zu machen vermochtet herrscht die Durchschneidung.
Wahrend die Nordhälfte der Halbinsel, ostlich von Laitschoufu, und der ganze ostliche Vorsprung wesentlich gebirgig sind, breitet sich in ihrer Mitte ein flaches, niedriges Land aus. Es reicht im Westen bis zur Trennungslinie des W'eiho und im Süden bis zum Lauschan-Zug. Ich habe gewagt, auf Grund von Reisebeschreibungen und Erkundungen seine Umrisse in der Karte einzutragen. Danach wurden die Kreisstädte Tschangi, Nankiu, Tschutschöng, Tsimo, Laiyang und Pingtu ungefähr die Grenzen bezeichnen. Nach Norden öffnet es sich zwischen Tschangi-hsien und Schahötschönn 40 km breit gegen das nördliche Schwemmland und das dann
nde Innere Gelbe Meer. Nach Süden steht es mit dem Aeusseren Gelben Meer durch die beiden vorgenannten Buchten von Tingtszötswi und Kiautschou in Verbindung. Dieser Umstand ist von höchster Bedeutung für einen Hafenplatz an der letzteren Bucht; denn ihm ist es zu verdanken, dass an keiner anderen Stelle die Halbinsel so leicht und einfach zu verqueren ist, wie hier. Dieses tiefliegende, grösstentheils von Bergzügen um- schlossene Gebiet hat keinen Namen; wir können es zur weiteren Anfuhrung nach dem ehemaligen Volksstämmen der Kiau und Lai als das Kiau lai- Becken bezeichnen. Das Land darin ist flach, aber keine Kbene, sondern sanftwellig, und wird von einzelnen Kuppen überragt. Bei der Länge von 150 km und einer grössten Breite von 100 km hat es ein Areal von wahrscheinlich nicht unter 6000 Quadratkilometer oder 109 Quadratmeilen.
W<> ich dieses Flachbecken betreten habe, besteht das Wellenland aus tief zersetztem Gneiss; ausser ihm scheinen Ge- steine der Lai -Formation mehrfach vorzukommen. Man könnte geneigt sein, die Entstehung des Beckens durch eine Einsenkung zu erklaren ; aber wahrscheinlich ist sie nur darauf zurückzuführen,
Kap. II. Natürliche lh-schafTenhi-it von Schantun^.
dass innerhalb seines Bereiches das Land durch Denudation mehr erniedrigt worden ist, als die Gebirge im Norden und im Süden. Darauf deutet besonders die Anordnung der Flüsse. Sie ent- springen im Lai- Gebirge und enden in den Buchten, in welchen durch Lücken in der Lauschan -Kette das Meer ihnen entgegen- dringt. Solche »Durchbruchsthäler« entstehen häufig dadurch, dass ein Fluss erst über leicht zerstörbare Gesteine und darauf über eine Zone von härterem Gestein hinwegfliesst. Er hat die Tendenz, sich in seinem ganzen Lauf allmählich tiefer einzugraben, vermag aber in dem weicheren Gestein nicht tiefer hinab zu arbeiten, als bis zum Niveau der Scharte, welche er in den härteren Riegel eingeschnitten hat. In dem ersteren nagt er jedoch nach der Breite hin die Berge ab, und das von dort entnommene Material dient ihm als Schleifpulver, um sich in das härtere weiter einzusägen. Zu welcher Tiefe er dies zu thun vermag, hängt von dem Niveau ab, das er zu erreichen hat, und das seiner Erosion ein Ziel setzt. Im vorliegenden Fall war es das Meer. Doch hatte es einen tieferen Stand als gegenwärtig; denn der Boden der Scharten liegt mehr als 40 Meter unter dem jetzigen Meeresspiegel, und da er dort jedenfalls aus zusammengeschwemmtem Material besteht, reicht die Scharte selbst zu noch grösserer Tiefe. Mindestens um den Betrag des Vertikalbestandes zwischen diesem wirklichen Boden der Scharte und der jetzigen Wasserfläche muss das Meer tiefer gestanden haben, als gegenwärtig, um den Flüssen das Einsägen zu ermöglichen. Während nun zwischen den Scharten die Stücke der Lauschan -Kette stehen blieben und ihrer Härte wegen wenig erniedrigt wurden, geschah die Denudation in dem dahinter liegenden Gebiet andauernd in weit stärkerem Maass, und dessen Bergland wurde allmählich abgetragen, bis es in der Gestalt der jetzigen Kiaulai- Senke mit ihrer welligen Oberfläche fertig gebildet war. Wahrscheinlich ist das Meer, als es in die Flussmündungen einzudringen begann, über sein jetziges Niveau hinaus gestiegen; denn die trocken gelegten, salzerfüllten Bänke von Schlamm und Sand, die an manchen Stellen der Küste auf- treten, deuten darauf hin, dass sich der Meeresstand in jüngster Zeit wieder ein wenig zurückgezogen hat. Die Erniedrigung des
Gebirge von Weet-Schantang. n\
Flachlandes schreitet wahrscheinlich noch vor, da das zersetzte Gestein leicht zerstörbar ist Genauere l'ntersuchungen werden über die- Geschichte der merkwürdigen Hohlform und der durch den südlichen Gebirgsriegcl in sie eindringenden Meeresbuchten weiteres Licht verbreiten. Es konnte hier die Argumentation nur auf Grund der aus der Morphographie ersichtlichen Verhältnisse geschehen. Eine andere Zone ähnlicher, tief zersetzter Gesteine, die dem Lai- Gebirge im Nordwesten gegen die Küste hin vorliegt, werde ich später, bei Gelegenheit meines Reiseweges zu beschreiben haben, ebenso die merkwürdigen Formen, welche dort die Gebirge des Korea-Granits haben.
2. iVest-Schantung.
Ganz anders ist West-Schantung gebaut. Hier ist das ganze Gebirgsland mehr zusammenhängend. Reist man der Nordseite entlang, so überrascht die Verschiedenartigkeit der Formen, unter denen aber die »Hahnenkämme« von Ost-Schantung nicht er- scheinen; der Gebirgsrand ist wie zerlappt, indem breite Thalböden sich von ihm aus golfartig in das Gebirge hinein ziehen; aber in ihrem Hintergrund glaubt man zusammenhängendes Bergland zu erkennen. Reist man im Inneren, so führen die Fahrwege in langen Thälern zwischen Bergrücken, die oft zu beiden Seiten ganz verschieden gestaltet sind; man glaubt in einem Längsthal zu wandern, aber in dessen geradliniger Fortsetzung befindet man sich plötzlich in einem Ouerthal, dessen beide Thalseiten gleich- artig sind. Hier und da ist eine beckenartige Erweiterung, bald kleiner, bald grösser. Es sind offenbar abnorme Verhältnisse. Nur der innere Bau vermag über die gestaltenden Vorgänge, die ihnen zu Grunde liegen, Aufschluss zu geben.
Soweit ich meinem Weg entlang den Gebirgsbau sehen konnte und auf Grund des Gesehenen den Bau anderer Gebirge aus Fernsichten zu beurtheilen wagen durfte, wird hier der Charakter bestimmt durch die Zerlegung einer ehemals gleichmässig aus- gebreiteten Platte in eine Anzahl von Schollen, die in der vor- her (S. 65) bezeichneten Weise gegen den Horizont geneigt sind; jede von ihnen, der Form nach, ein Erzgebirge im Kleinen. Hie
-j Kap. II. (Natürliche Beschaffenheit \>>n Schantung.
ßruchlinien aber sind einander nicht parallel. Sie haben vtt schiedene Richtung und schienen mir im Ganzen ans der Gegend des raischan, des auf 1600 m geschätzten Centralpunktes des
ganzen Gebietes, in den Richtungen Ostnordost über Ost bis Süd- ost zu divergiren. Andere Brüche sind quer zu diesen gerichtet. Da, wie gesagt, jede der beobachteten Schollen so gestaltet ist, dass die Südwest- oder Südseite höher liegt, als die nordöstliche oder nördliche, so kehrt sie nach der ersteren ihre steile Bruch- fläche, während nach der letzteren die ursprüngliche Oberfläche sich sanft abdacht. An der Bruchfläche kommt jedesmal das Grundgebirge zum Vorschein. Eigentlich müsste in jeder Scholle über diesem die ganze Folge der aufgelagerten Schichten auf- treten. Aber die Denudation hat die oberen Theile erheblich umgestaltet; besonders von den höchsten Theilen sind die Schicht- massen in solchem Umfang fortgeführt, dass meist das Grund- gebirge die Oberfläche bildet und als ein Kamm von Gneiss auf- ragt. Zuweilen überragt dieser Kamm alle noch erhaltenen Sedi- mente; aber es kommt auch vor, dass diese neben einem Gneiss- kamm die höchsten Gebirgstheile bilden, und zuweilen überlagern ihre Reste an der First selbst noch den Gneiss. Natürlich haben sich die Gewässer in die Schichtgebilde tief eingegraben und darin verzweigte Thäler geschaffen. Ihre Quellen liegen in den stets wasserscheidenden Gneissfirsten. Nur ausnahmsweise kommt es vor, dass ein grosses Thal eine ganze Scholle quer durchbricht, wie dies besonders bei dem des Wönnhö westlich von Tainganfu der Fall ist; und hier liegt wahrscheinlich ein Querbruch zu Grunde. Der äusserste Zug im Südwesten, den ich beobachtete, ist der Kiunüschan (»Neunweiber- Gebirge«), der im Schimönnschan (»Steinthorgebirge«) fortsetzt und mit diesem eine Länge von 1 50 km hat. Er ist von Südost nach Nordwest gerichtet. Der ganze Kamm besteht, soviel ich aus dem Anblick und den durch Gewässer herabgeführten Gesteinsstücken zu urtheilen vermochte, aus Gneiss. Der Nordost -Abfall trägt die Sedimentplatte in ungewöhnlich steiler Neigung und ist hier kurz; denn er stösst bald gegen die steilen Rückseiten der nächsten Schollen, deren jede ihre ganz aus Gneiss oder aus Gneiss und den untersten
S< bantang. - ^
Sedimentschichten bestehende First hat. Wahrscheinlich i^t aber noch westlich vom Kiunüschan ein anderer, mehr gegen Südsüd- gerichteter Gneissrücken als eine Schollenfirst vorhanden. Sehr charakteristisch, aber in jedem Einzelfall verschieden
gestaltet, ist bei den einzelnen Schollen die Seite der sanften Ab- dachung. Wo sie schmal und der Fallwinke] grösser als gewöhn- lich ist, wie /.. B. am Kiunüschan, bringt die verzweigte Erosion eine Auflösung in eine Menge von Hügeln hervor, die durch die Entblössung der regelmässig auf einander gelagerten Schichtgesteine einen eigentümlichen Anblick gewahren. Wo sie breit und der Fallwinkel gering ist, wie an der Nordabdachung der Taischan- Kette, da sind die Schichtmassen durch grössere Thäler zerschnitten, die durch zerlappte Tafelflächen getrennt werden. Der Härte- wechsel der Schichten bedingt eine Terrassengestalt der Abfälle, und es treten Landschaftsbilder ein, die sich von den Mesas von Neu-Mexico nur dadurch unterscheiden, dass hier die Tafeln horizontal, in Schantung aber flach geneigt sind.
Es wurde ermüden, in weitere Einzelheiten einzugehen. Das Motiv bleibt dasselbe; aber in den daraus hervorgehenden Formen waltet ein beständiger Wechsel, und die Einzelaufnahme wird hier, trotz der Einförmigkeit in den Elementen des Aufbaues, eine dank- bare und angenehme Aufgabe finden.
Die Anlage der Thäler wird durch die natürlichen Senkungen bestimmt, die auf einer Seite von einer Schollen-Abdachung, auf der anderen von einer steilen Bruchfläche begrenzt werden. Es Ist in ihnen noch viel Gelegenheit zu Sonderausbildungen vor- handen; so sind z. B. an einzelnen Stellen Seen aufgestaut und dann mit Sedimenten erfüllt worden, oder es finden sich alluviale Ausbreitungen, oder der Bach schneidet einfach in die Schicht- gesteine ein, ohne von Ablagerungen begleitet zu sein.
Die Konvergenz der Schollenbrüche nach Westen hat das Vorspringen des ganzen Berglandes nach dieser Richtung zur Folge. Bei Tungpingtschou erreicht es sein westlichstes Ende. Eine Linie, von dort, südwestlich von Yentschoufu vorüber, nach dem Tempel Tingkiamiau bei I-hsien, bezeichnet den Südwestrand. Von Tung- ping nach Tsinanfu folgt man, dicht an der Linie des Gelben
ja Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantunp.
Flusses, einem nordwestlichen Abbruch. Von letzterer Stadt ist der Nordrand des Berglandes im Allgemeinen nach Osten gerichtet; im Einzelnen wird er durch die Gestalt der Schollen bestimmt, deren Flachseite sich nach diesem Rand hin abdacht; er hat da- her eine nördliche Ausbiegung bei Tschangschan-hsien. Ausserdem aber greifen hier am Nordrand, wie gesagt, Einbuchtungen in das Bergland hinein; es sind die kleinen Bruchfelder, in denen die Steinkohlenformation erhalten ist. Dies giebt der Nordseite wechselvolle Gestalt und belebten Charakter.
Im Süden endet der beschriebene Gebirgsbau an einer Bruchlinie von grosser Bedeutung. Sie zieht etwas nördlich von Itschoufu vorüber und hat die Richtung WSW- ONO. Es ist einer der Querbrüche. Vielleicht ist er nicht einheitlich, sondern in Staffeln abgesetzt; dies muss die weitere Untersuchung entscheiden. Hier ist das südlich angrenzende Land herabgesunken, aber nicht so tief, um von den Gebilden der Ebene überdeckt zu werden. Es er- hebt sich über sie als ein Hügelland und wird von einzelnen höheren Bergen, über deren Stellung und Bedeutung ich keinen Aufschluss zu geben vermag, überragt. Die tiefe Lage hat es ermöglicht, dass hier die Steinkohlenformation in grösserem Umfang als anderwärts in der Provinz erhalten ist. Das Hügelland erstreckt sich fort nach Süden bis in die Provinz Kiangsu hinein, wo wir seinen südlichsten Ausläufer, den Tschangschan, kennen gelernt haben.
Betrachten wir noch den Wasser - Abfluss. Eine dem Nordrand des Gebirgslandes parallele Wasserscheide durchzieht dieses in einem Abstand von 40 bis 60 km von ihm von West nach Ost, bis zur Scheidelinie des Wei-Thales, das seine Gewässer zum Theil noch südlich von ihr bezieht. Eine Anzahl von Flüssen ziehen von ihr nach Norden herab. Wo sie das Alluvial- land erreichen, wenden sie sich zum Theil direkt nach dem Meer, zum Theil gehen sie nach dem Gelben Fluss. Im Süden ist das Abflusssystem verwickelter. Ein wasserreicher Fluss, der Ta-Wönnhö oder „Grosse Wönn", geht von Tainganfu nach Westen hinaus, nachdem er den Abfluss der Taischankette und des Schimönngebirges in sich aufgenommen hat. Er durchbricht
Mromvertheilunp in West-Schantnilg. 75
den Gneiss in einem Engthal. Von dort, wo er da^ Gebirge ver- tagst, fliessl er nach dessen westlichstem Vorsprung und mündete hier ehemals in den weit von Westen her kommenden Tsihö, welcher dem nordwestlichen Gebirgsrand folgte und dann das Flachland bis zum Meer durchströmte. Mehrere Städte, wie Tsinanfu und Tsiyang-hsien, haben noch nach ihm ihre Namen. Als der obere Tsihö von dem Gelben Fluss nach Südosten ent- führt wurde, trat für seinen Unterlauf der Name Ta-Tsinghö ein, der durch mehrere Jahrhunderte angewandt worden ist, bis der Gelbe Fluss sich um das Jahr 1852 in den mit diesem Namen be- zeichneten Kanal ergoss. Damit hat er auch den Wönnhö als Zufluss aufgenommen. Aber dieser bringt ihm nur noch einen Theil seiner Wassermasse; denn bei Anlage des Grossen Kanals wurde der Wönnhö von der Stelle, wo er das Gebirge verlässt, zur Hälfte nach Südwesten abgeleitet, um in der früher (S. 17) beschriebenen Art diesen an seinem Culminationspunkt zu speisen.
Eine zweite grosse Wasserscheide bildet der Zug des Kiu- nüschan und Schimönnschan. Der nördliche Theil des Abflusses der Südwestseite vereinigte sich früher zum Sz'hö, der dann den ganzen Fuss des südlichen Berglandes begleitete und dieses in grossem Bogen umschloss; sein Bett ist nachher theilweis für den Grossen Kanal benutzt worden. Der Rest des westlichen Abflusses des Kiunüschan folgt einem Längsthal und geht nach Itschoufu. Hier und weiter südlich vereinigen sich mehrere Flüsse, die sich in dem Gebiet der divergirenden Schollen entwickeln. Unter ihnen ist der bedeutendste der Ihö, dessen wir bei Itschoufu gedachten.
Alle diese Flüsse des Berglandes dienen für die Schifffahrt entweder gar nicht, oder, wie der Ihö, nur ganz unvollkommen, l'm so wichtiger ist der Verkehr auf den Wasserstrassen ausserhalb der Grenzen des Berglandes; in erster Linie auf dem Grossen Kanal. Aber auch der Gelbe Fluss, so viele Schwierigkeiten er bereitet, ist von Belang.
Klima.
Schantung liegt zwischen 34*/« und 3&l/s Grad nördlicher Breite, also in den Breiten von Tunis, Algier, Sicilien, Peloponnes. Aber
"ß Kap. 11. Natürliche Beschaffenheit von Schantung.
das Klima ist von dem dieser Länder erheblich verschieden, und in dem wichtigen Punkt der jahreszeitlichen Vertheilung der Nieder- schläge genau entgegengesetzt. Denn im südlichen Mittelmeer- gebiet fällt die Regenzeit in die Mitte des Winters, der Sommer ist trooken; hier dagegen ist der Winter die trockene Zeit und die Regen fallen im Sommer. Dies ist die Folge der Lage im o^tasiatischen Monsungebiet, dem ganz China angehört. Im Winter- halbjahr wehen Winde aus nördlichen, im Sommer aus südlichen Richtungen. Jene kommen aus dem Kontinent und bringen Kälte und Trockenheit, diese kommen vom Meer und sind die Träger von Wärme und Feuchtigkeit. Hierin besteht das allgemeine, leitende Prinzip.
Im Einzelnen aber sind die klimatischen Zustände des chinesischen Monsungebietes von mannigfacher Art und bieten einerseits, wenn man einzelne Abschnitte der Jahresperiode ins Auge fasst, örtliche Unterschiede: je nach den Regionen von China, nach maritimer oder Binnenlage, nach der Meereshöhe, nach dem Verlauf der Gebirge und der Lage der grossen Stromthäler, sowie nach anderen geographischen Momenten; andererseits, wenn man denselben Ort betrachtet, zeitliche Unterschiede: je nach dem Stand der Sonne in den einzelnen Monaten, nach dem wechselnden Charakter und der veränderlichen Stärke der Winde, und nach der genauen Himmelsrichtung, aus der sie kommen. Für Schantung ist leider nur Allgemeines bekannt; Beobachtungen liegen nur aus Tschifu und Umgegend vor. Auch sie sind unzureichend, und sie fehlen gänzlich aus den erheblich verschieden gelegenen westlichen Gebieten. Von Kiautschou sind noch keine vorhanden.
Der Gang der Temperatur nach den Jahreszeiten hat einen kontinentalen Charakter, d. h. er bietet Extreme von Wärme und Kälte. Da die Mitteltemperatur des wärmsten Monats, wie zuerst Pritsche erkannte, in allen Küstenprovinzen von China im Meeres- niveau nahezu gleich ist, die Wintertemperatur dagegen von Süd nach Nord in sehr starkem Verhältniss abnimmt, so machen sich für den Norden die Extreme ebenso in einer abnormen Kälte im Winter, wie in einer abnormen Wärme im Sommer geltend. Dies ist besonders für Peking bezeichnend. Weit gemässigter schon
Klim:i.
77
ist Schantung. Januar und Fedruar sind kalt und rauh; im Mai soll der Uebergang zur Sommerwärme schnell erfolgen, und diese im Juli und August ihren höchsten Grad erreichen, um im Oktober wiederum mit raschem Wechsel einem kühlem Herbst zu weichen. Auf den Karten von Fritsche liegt die Provinz im Januar zwischen den Isothermen von — 40 und O0, im Juli zwischen denen von 260 und 27 °; diese Zahlen entsprechen einer mittleren Mittwinter- kalte wie in Deutschland, dagegen einer Hochsommerwärme wie in Algier und Athen, Batavia und Singapur; doch werden im Winter die Kälteextreme von Deutschland selten erreicht. Das Jahresmittel liegt zwischen 12° und 130, d. i. wie Mailand und Bordeaux. Die Eisbildung im Winter ist nicht beträchtlich. Tschifu gilt für eisfrei, und bei Kiautschou bildet sich Eis an den nördlichen Rändern der Bai, aber es soll nie grossen Umfang erhalten und nicht lange andauern. Das Gefühl der Kälte wird allerdings gesteigert durch die heftigen Winde und den unvollkommenen Schutz der chinesischen Wohnungen. Im Frühjahr empfand ich den Wechsel kalter Morgen und Abende und grosser Wärme in den Mittagsstunden. Es war eine Folge des heiteren Wetters und der trockenen Luft. Die Hitze des Sommers ist wahrscheinlich im Inneren sehr fühlbar, besonders wenn im Spätsommer heftige Regen eintreten und die Luft feucht ist. An der See wird sie gemildert; so wird Tschifu als Sommer- frische und See-Badeort von den Fremden aus Schanghai aufgesucht. Ein wesentliches Moment für die Landwirthschaft, dieses Fundament des Lebens der Bewohner von Schantung, ist die Menge und Vertheilung der Niederschläge. Vortheilhaft in dieser Beziehung ist überall in den Monsungebieten die Regelmässigkeit, mit welcher der Landmann auf die einzelnen Phasen der Befeuch- tung während der Jahresperiode rechnen kann, und andererseits in hohem Maass der Umstand, dass die Niederschläge im Sommer fallen, also in der Zeit, wenn die Vegetation ihrer bedarf. Dies ist es, was die Monsungebiete so ausserordentlich günstig gegen- über den Gegenden des Mittelmeeres stellt. Schantung aber theilt mit dem ganzen nördlichen China eine übermässige Zusammen- drängung der Sommerregen in eine kurze Periode. Supan hat die
Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von .Schantung.
Regenmenge der einzelnen Monate aus neueren Beobachtungen für Tschifu und das Schantung- Vorgebirge berechnet. Es fallen dort im Mittel aus beiden Orten:
Regenmenge |
Jan. Febr |
März |
April |
Mai |
Juni |
Juli |
Aug. |
Sept. |
Oct. |
Nov. |
Dec. Jahr |
||
in Millimeter |
14 |
5 |
9 |
38 |
21 |
5° |
141 201 c6 |
18 |
32 |
l8 |
603 |
||
in I'roc. der Jahresmenge |
2-3 |
0.7 |
i-5 |
6.4 |
3-6 |
8.2 |
23-3 |
33-3 |
9.4 |
3.0 |
5-3 |
3-0 |
IOO |
Auf die Jahreszeiten vertheilt sich die Niederschlagsmenge nach Procenten wie folgt:
Winter (December bis Februar) . . . 6.0 Procent
Frühling (März bis Mai) 11.5 »
Sommer (Juni bis August) 64.8 »
Herbst (September bis November) . . 17.7 » Mit Rücksicht auf den Pflanzenwuchs erhalten wir Niederschlag: in der Vegetationsperiode (April bis September) . 84.2 Procent
im Winterhalbjahr (October bis März) 15.8 »
Es kann also die Vegetation einen vollkommenen Winter- schlaf haben und sich im Sommer gut entwickeln. Dennoch erscheint für die landwirtschaftlichen Zwecke die Vertheilung der Niederschläge nicht als durchaus günstig. Nach dem, was ich über den Charakter der einzelnen Monate erfuhr, ist im November, December und Januar häufig trübes Wetter mit Regen und Schnee, wenn auch die Niederschlagsmenge gering ist. Besonders die Berge erhalten dann leichte Schneedecken. Der Februar ist sehr trocken. Im März geschieht zum Theil die Aussaat; es werden dann die ersten Regen erwartet, die zwar gering sind, aber der kühlen Witterung wegen den Boden feucht erhalten. Auf mehr Niederschläge rechnet man im April. Bei nicht allzu ungleich- massiger Vertheilung können gegen 40 mm Regen dann für die Saaten günstig wirken. Der Mai ist regenarm und wegen der dann eintretenden hohen Temperaturen trocken; eine Steigerung der Niederschläge tritt im Juni ein, und eine übermässig grosse Menge Regen fällt im Juli und August. Dann geht sie im Sep-
Klima.
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tembcr herab, und es folgt ein trockener Oktober. Auf diese Pcriodicität ist die ganze Bestellung der Felder gerichtet; eine Abweichung kann daher verhangnissvoll sein. Als ich im April dort reiste, waren im Mar/, die Regen ausgeblieben; da auch der April trocken blieb, herrschte grosse Besorgniss; das Land litt unter grosser Dürre, ausser in den Berieselungsgebieten. Dann kam der Regen reichlich im Mai.
Diese allgemeinen Angaben, die ich im Lande erhielt, werden durch die Beobachtungen von Tschifu bestätigt. Dennoch werden in den einzelnen Landestheilen wahrscheinlich nicht un- erhebliche Verschiedenheiten herrschen. Wie sich die Ebenen im Westen verhalten, ist nicht bekannt; aber im Ganzen hat das Klima auch dort den Ruf der Trockenheit. Um so wich- tiger ist der starke Niederschlag im Hochsommer; er ist so be- deutend, dass ihn die Landwirtschaft in erster Linie zu berück- sichtigen hat. Line Angabe darüber, wie sich die Reife der Feld- früchte und Baumfrüchte zu diesem Regen verhält, ist mir nicht bekannt; die Wärme ist gleichzeitig so hoch, dass eine kräftige Entuickelung stattfinden muss.
Aenderungen bedingen auch die Gebirge. Sie verdichten den Wasserdampfund befördern Wolkenbildung und Regen. Der Taischan wird als Wolkenverdichter und Erzeuger von fliessenden Gewässern gepriesen. Wo die Gebirge quer gegen die regen- bringenden Winde gerichtet sind, werden sie, wie es dann stets der Fall ist, die reichsten Niederschläge auf der Windseite, ge- ringere auf der Leeseite erhalten, und Aehnliches wird von dem auf beiden Seiten zunächst vorgelagerten flachen Land gelten. Da die südlichen Winde die feuchtesten sind, sollten die Kiaulai- Senke und der nördliche Gebirgsrand relativ trocken sein. Wenn auch der Einfluss wegen der geringen Höhe der Gebirge und der durch ihre tiefe Einschartung entstehenden Durchgangsthore nicht ein sehr starker sein wird, so kann er doch nicht fehlen. In ahn licher Weise werden noch vielerlei örtliche Differenzirungen vor- kommen, doch kann man jetzt nur Yermuthungen Raum geben. ist zu hoffen, dass ausser genauen Beobachtungen in Kiautschou, die neben den schon vorhandenen in Tschifu sicher
So Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantnng.
bevorstehen, auch die Missionsstationen deren Ausführung unter autoritativer Anleitung übernehmen werden; es wird sich dann ein allgemeines Bild des Ganges von Temperatur und Nieder- schlägen gewinnen lassen.
Noch ist der Winde des Winterhalbjahrs zu gedenken, die eine viel grössere Stärke als die sommerlichen haben und durch ihre Richtung einen weitaus vorherrschenden kontinentalen Charakter tragen. Obgleich sie wesentlich trocken sind, kommen, wie gesagt, auch Schneefälle vor, doch sind sie nicht bedeutend^ und der Schnee bleibt nur kurze Zeit liegen. Unangenehm sind be- sonders die nordwestlichen Winde, die in den beiden ersten Monaten des Jahres in den japanischen und nordchinesischen Meeren vorwalten und grosse Heftigkeit erreichen. Für Kiautschou werden sie sich leicht durch die Erzeugung eines starken Wellen- ganges auf der grossen Fläche der Bai bemerkbar machen, und es wird besondere Aufmerksamkeit auf dessen Abwehr gerichtet sein müssen.
Vegetation.
Kahle Berge, und üppiger Anbau in Thälern und Ebenen, das ist jetzt der Charakter von Schantung. Es giebt keine Wälder, ausser wo ihnen der geheiligte Grund in den Umgebungen von Tempeln Schutz gewährt hat. An einigen Stellen fand ich Pflanzungen von Kiefern mit zehn- bis zwölfjährigem Umtrieb. Gruppen hoher Bäume, insbesondere in der Umgebung der Dörfer, und zusammenhängende Pflanzungen von Obstbäumen oder Maul- beerbäumen entschädigen etwas für den Mangel an Wäldern, aber der Gesammt-Eindruck kahler Berge heftet sich an die Erinnerung der Landschaft. Es kann nicht immer so gewesen sein. In einer Gegend, wo die Winterkälte den vollkommenen Winterschlaf der Vegetation gestattet und bereits im Vorfrühling Niederschläge beginnen, die dann zunehmen, bis im Hochsommer eine über- mässig starke Befeuchtung erfolgt, da sind die Bedingungen für das Bestehen eines Pflanzenkleides bis zu den Kämmen
Vegetation. 8j
der Gebirge gegeben; die heiligen Haine der jetzigen Tempel könnten und sollten sich als ein Waldteppich über Hügel und Berge erstrecken. Dies ist früher gewiss der Fall gewesen. Aber, wie in anderen alten Kulturländern, hat auch hier seit früher Zeit der Mensch die Bäume sorglos verbraucht. Wo es keine mehr gab, wurden die Straucher vernichtet, und wenn sie wieder sprossten, auch deren Wurzeln ausgegraben. Als dieses Zerstörungswerk vollendet und die Zahl der Bewohner weiter gewachsen war, ging man dazu über, Gräser und Kräuter zur Feuerung zu be- nutzen. Schon im Herbst verdorren sie und brennen gut. Da aber die trockenen Blätter und Halme wenig Masse geben, ging man daran, die Wurzeln zu verwenden. Im März und April sah ich die Leute in Schaaren mit deren Auskratzen beschäftigt; an tlen Berggehängen und Feldrainen war das Zerstörungswerk in vollem Gang. Man hat dazu ein raffinirtes Instrument ersonnen, welches in Kanton angefertigt und in Massen eingeführt wird. Am Ende eines langen Stiels befindet sich eine Harke mit zehn bi> zwölf Sprossen aus Bambusstäbchen, die am Ende scharf zu- gespitzt und krallenförmig abwärts gebogen sind. Zieht man dieses Instrument mit einigem Druck über eine Grasfläche, so greifen die Krallen in den Boden und raufen die Vegetation mit einem Theil der Wurzeln aus. Zuweilen gelingt es Einem, die holzigen Wurzeln eines ehemaligen Strauches zu entdecken; mit Neid betrachten die Anderen den glücklichen Besitzer eines so werthvollen Brennstoffes. Dies ereignet sich in Schantung jetzt freilich nur selten.
Klima und Boden sind hinreichend gut, dass sich die abge- rasten Stellen aus dem Rest der Wurzeln und neu zugeführtem Samen wieder mit einem grünen, blüthenreichen Teppich bedecken. Man gestattet ihm auch, wie mir gesagt wurde, eine Fntwickelung, indem an jeder Stelle die Vernichtung in zweijährigem Umtrieb geschieht. Immerhin muss es auf den ersten Blick auflallen, dass im mittleren und sudlichen China, wo die Bevölkerung ebenfalls -«ehr dicht ist und die Berge ebenso in frühen Zeiten entwaldet worden sind, eine ausserordentlich schöne Strauch -Vegetation, besonders von Azaleen, Rhododendren und vielen anderen Sträuchern
v. Riohthofen, Schantung. 6
Kap. II. Natürliche Beschaffenheit von Schantung.
mit Blatter- und Blüthenpracht alle Hügel bedeckt, und auch eine Baumvegetation sich stets wieder spontan einstellt. Man gelangt dort zu dem Schluss, dass in den Monsunländern alle Zerstörung die Baum -Vegetation nicht zu vernichten vermag, wie in den Mittelmeerländern, wo es im Sommer nicht regnet und der ver- nichtete Wald sich nie wieder von selbst einstellen konnte. Denn hier in China erneuern die sommerlichen Regen stets die Be- dingungen für die Entwickelung der Samen und das Festwurzeln der Pflanzen im Boden. Sind auch im Norden die Winter- und Frühlings- Niederschläge geringer, so sollte man doch den Sieg der Schaffens- kraft der Natur über das Zerstörungswerk des Menschen ebenfalls, wenn auch in etwas geringerem Maass, zu sehen erwarten. Die Ursache des Kontrastes, welcher, wie für Schantung, so für alle Nordprovinzen gilt, liegt in den kalten Wintern. Im Süden giebt es keine Oefen; im Norden sind sie allgemein, und der Betrag des Feuerungsmaterials, dessen der Mensch bedarf, ist um ein Mehrfaches grösser. Ausserdem aber sind in den südlichen Gegenden die Anpflanzungen von Kulturbäumen auf den Hügeln sehr umfangreich und geben durch ihren meist kurzen Umtrieb hinreichend Stoff für die Herstellung von Holzkohle, deren man sich dort neben den verbrennbaren Theilen kultivirter Feldpflanzen vorwiegend bedient. Im Norden geben die Kauliangstengel einigen Ersatz; aber er reicht für den Mehrbedarf nicht aus, und auch die Steinkohlen scheinen ihn, selbst in den Gegenden wo der Preis ihre Verwendung noch gestattet, nicht zu decken.
Der Europäer, der zur See nach Schantung versetzt wird, wird die Wiesen vermissen, an deren Anblick er in Europa ge- wöhnt ist. Aber, auch wenn die Grasvertilgung nicht stattfände, würden sie nicht bestehen; sie fehlen in China überhaupt, wie überall dort, wo eine trockene und eine nasse Jahreszeit mit ein- ander wechseln. Es findet nicht das Verfilzen der Graswurzeln und die Herstellung eines continuirlichen Grasteppichs statt; immer waltet ein steppenartiger Charakter, der darin besteht, dass die einzelnen Pflanzen getrennt stehen und man den Boden zwischen ihnen sieht. Auch ist die Humusbildung allenthalben gering. Nur durch Berieselung könnten Wiesen geschaffen werden; aber
Folgen der Entwaldung. 83
dazu ist das Land zu werthvoll; denn wo Wasser vorhanden ist,
zieht man gewinnbringendere Gewachse. Auch ist der Bedarf an Gras als Futtermittel gering, weil eine eigentliche Viehzucht fehlt.
Die Wirkung der durch die Entwaldung geschaffenen Zer- >t<>rung beschrankt sich nicht auf den Mangel an Bäumen, sondern es ist auch in sehr grossem Umfang der Erdboden weg- geführt worden. Die Gipfel der Gneissberge ragen kahl und nackt auf und sind grösstenteils jeder Vegetation entblösst;